Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 31.) 123
Alle, die mit mir durch Freundschaft und Wohlwollen in Verbindung
traten — und ihre Zahl ist nach Gottes Weisheit nicht gering gewesen —
finden hier meinen heißen Dank und zugleich den letzten Dank für ihre Liebe,
mit der sie mir begegneten. Viele sind mir in das Jenseits vorangegangen
— wie wird unser Wiedersehen sein?
Allmächtiger! Du kennst meine Dankbarkeit für alles, was mir hie-
nieden teueres und schmerzliches begegnetel In Deine Hände befehle ich
meinen Geistl!! Amen!
Wilhelm.
II. Berlin, den 31. Dezember 1866.
Seitdem ich am 10. April 1857 meinen Abschiedsgruß meinen zu
Hinterlassenden niederschrieb, hat das Schicksal mächtig in mein Leben ein-
gegriffen. Die Vorsehung bestimmte in einer ungeahnten Weise über die
letzten Lebensjahre meines teueren Bruders und berief mich noch bei seinem
Leben zu seinem Nachfolger. Als Gott den vielgeprüften König und Bruder
von seinem schweren Leiden gnädig erlöste, mußte ich den Thron der Väter
besteigen. Gegen meine Neigung schritt ich zur Krönung, in tiefster Demut,
um Preußen mit seinen neuen Institutionen die irdische Macht zu vergegen-
wärtigen, die zu dessen Heil fest bestehen müsse. Diese meine gewissenhafte
Überzeugung, hat mich geleitet und gestählt in den schweren Kämpfen, die
ich mit jenen neuen Institutionen jahrelang zu bestehen hatte.
Diese Kämpfe haben mich tief erschüttert, weil ich stand halten mußte
gegen ein wirres Andrängen gegen jene irdische Macht, die ich nicht aus den
Händen geben durfte, wenn Preußens Geschichte nicht aufgegeben werden
sollte. Ich vergebe allen, die wissentlich und unwissentlich sich meinen, auf
Gewissensüberzeugung begründeten Absichten zum Wohle des Vaterlandes,
entgegensetzten, um die Macht der Krone zu schmälern und die Herzen der
Preußen derselben zu entfremden.
Vergessen mögen meine Nachkommen es aber nicht, daß Zeiten mög-
lich waren, wie die von 1861 bis 66!
In dem Jahre, welches heute schließt, hat sich Gottes Gnade in einer
Art über Preußen ergossen, die für so viel Erduldetes reichlich entschädigt.
In Demut erkenne ich diese göttliche Gnade, die mich ausersehen hat in
meinem vorgerückten Alter, eine Wendung der Verhältnisse herbeizuführen,
die zum Heil des engeren und weiteren Vaterlandes bestimmt zu sein scheint.
Das Werkzeug so Großes zu erreichen, die Armee, steht unübertroffen in
diesem Augenblick vor der Welt. Der Geist, der sie beseelt, ist der Aus-
druck der Gesittung, die eine sorgliche Hand meiner erhabenen Vorfahren
der Nation anerzogen hat. Die Armee finde in allen ihren Teilen in dieser
ernsten Scheidestunde des Jahres meinen Herzensdank für die Hingebung und
Aufopferung, mit der sie meinem Rufe folgte und vor meinen Augen siegte
— ein Ergebnis, für das ich Gott meinen demütigen Dank stammle!
Aber ganz Preußen finde hier meinen Königlichen Dank für die Ge-
sinnung, die es in diesem denkwürdigen Jahre an den Tag legte!
Wo solche Vaterlandsliebe sich zeigt, da ist der gesunde Sinn vor-
handen. der Nationen groß macht und darum segnet sie Gott sichtlich!. Meinen
heißesten Dank finden alle hier, die mir halfen durch schwere Zeiten zu dem
Lichtpunkte dieses Jahres zu gelangen.
Möge Gottes Segen immer auf Preußen ruhen und Preußen sich
dieses Segens würdig zeigen!
Möge mein Sohn und seine Nachkommen solches Volk und solche
Armee um sich sehen, und durch besonnenes, zeitgemäßes Fortschreiten das