Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept Ende —Okt. Mitte.) 137 
liche Hoheit schon damals wußte, daß ich den Krieg für notwendig hielt 
und nur unter Rücktritt aus dem Amt nach Varzin zurückkehren wollte, 
wenn er vermieden würde und daß Se. Königliche Hoheit hierin mit mir 
einverstanden war, wie das auch in den angeblichen Aufzeichnungen vom 15. 
noch auf der ersten Seite des Abdruckes mit den Worten ausgesprochen ist, 
daß der Kronprinz mit mir darüber vollkommen einverstanden war, daß 
„Frieden und Nachgeben bereits unmöglich seien“. Es ist auch (S. 6) nicht 
richtig, daß Se. Majestät der König damals nichts Wesentliches gegen die 
Mobilmachung eingewendet hätte. Se. Majestät glaubte, und der Kronprinz 
wußte dies, den Frieden noch halten und dem Lande den Krieg ersparen zu 
können; Se. Majestät war in Brandenburg und während der ganzen Fahrt 
von da nach Berlin meiner Befürwortung der Mobilmachung unzugänglich. 
Aber sofort nach Vorlesung der Olivierschen Rede auf dem Berliner Bahn- 
hofe, und nachdem Se. Majestät mir die wiederholte Vorlesung der Rede 
befohlen hatte und dieselbe als gleichbedeutend mit franzöfischer Kriegs- 
erklärung ansah, entschloß der König Sich proprio motu und ohne weiteres 
Zureden zur Mobilmachung. Se. Königliche Hoheit der Kronprinz, über 
die Notwendigkeit der vollen Mobilmachung bereits am Tage vorher mit 
mir einverstanden, hat dann weiterere Schwankungen durch Verkündigung der 
Königlichen Entschließung mit den Worten „Krieg! mobil!“ an das Publi- 
kum, d. h. an die anwesenden Offiziere, abgeschnitten. Es ist ferner nach 
meinen damaligen Besprechungen mit dem Kronprinzen nicht möglich, daß 
Se. Königliche Hobeit (S. 7) mit diesem Kriege einen „Ruhepunkt im Krieg- 
führen vorausgesehen“ haben soll, da Se. Königliche Hoheit die allgemeine 
Überzeugung teilte und zum Ausdruck brachte, daß dieser Krieg, wie er 
auch ausfallen möge, „die Eröffnung einer Reihe von Kriegen“", eines „krie- 
gerischen Jahrhunderts“ sein werde, dennoch aber unvermeidlich sei. S. 16 
scheint unmöglich, daß der Kronprinz gesagt habe, „Er setze die Verleihung 
des Eisernen Kreuzes an Nicht-Preußen mit Mühe durch“; da ich noch in 
Versailles, also Monate später, im Auftrage des Königs den Kronprinzen 
wiederholt zu bitten gehabt habe, mit der Verleihung des Eisernen Kreuzes 
auch an Nicht-Preußen vorgehen zu wollen, und Se. Königliche Hoheit dazu 
nicht sofort geneigt fand, es vielmehr wiederholter Anregung Sr. Majestät 
bedurfte, um die befohlene Maßregel in Fluß zu bringen. Besonders auf- 
fällig bei Prüfung der Echtheit ist der chronologische Irrtum, daß eine leb- 
haftere Diskussion mit mir über die Zukunft Deutschlands und die Stellung 
des Kaisers zu den Fürsten erst in in Versailles stattgefunden habe. Dieses 
Gespräch fand schon am 3. September in Donchéry statt und teilweise bei 
einer noch früheren Verhandlung von mehrstündiger Dauer, von welcher ich 
mich nur entsinne, daß sie zu Pferde, also wahrscheinlich bei Beaumont oder 
Sedan stattfand. In Versailles haben Erörterungen von Meinungsverschie- 
denheiten zwischen Sr. Königlichen Hoheit und mir über die künftige Ver- 
fassung Deutschlands nicht mehr stattgefunden. Ich darf vielmehr annehmen, 
daß Se. Königliche Hoheit Sich von der Richtigkeit der von mir für das 
Erreichbare gezogenen Grenze überzeugt hatte; denn ich habe mich bei den 
wenigen Gelegenheiten, wo die Zukunft Deutschland und die Kaiserfrage in 
Gegenwart beider Höchsten Herrschaften zur Sprache kam, des Einverständ- 
nisses Sr. Königlichen Hoheit den Bedenken Sr. Majestät gegenüber zu er- 
freuen gehabt. Die Behauptung des „Tagebuchs", daß Se. Königliche Ho- 
heit beabsichtigt haben könne, Gewalt gegen unsere Bundesgenossen anzu- 
wenden und denselben eventuell die von ihnen treu gehaltenen und mit ihrem 
Blute besiegelten Verträge zu brechen, ist eine Verleumdung des Hochseligen 
Herrn. Derartige vom Standpunkt des Ehrgefühls wie von dem der Politik 
gleich verwerfliche Gedanken mögen in der Umgebung Sr. Königlichen Hoheit
	        
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