Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober Anf.) 143
Potsdam, den 29. Juni 1888.
An Ihre Majestät die Königin von Serbien. Wiesbaden.
Infolge des mir soeben zugegangenen Telegramms Euerer Majestät
beeile ich mich, die erforderlichen Erkundigungen einzuziehen, um Anordnungen
bezüglich der Maßregeln treffen zu können, von denen Sich Euere Majestät
bedroht glauben. «
Ich bitte Euere Majestät, Sich versichert zu halten, daß Dieselben in
meinem Lande sich jeden Schutzes zu erfreuen haben werden, der mit meinen
völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dero erhabenem Gemahl und
Seiner Regierung vereinbar ist. (gez.) Wilhelm.
II. Telegramm:
Potsdam, den 5. Juli 1888.
An Ihre Majestät die Königin von Serbien. Wiesbaden.
Nach dem mir nunmehr zugegangenen Ergebnis der Ermittelungen,
die anzustellen ich mir in meinem Telegramm vom 29. Juni vorbehalten
hatte, kann ich zu meinem Bedauern den Widerstand nicht unterstützen, den
Eure Majestät der auf die Rückkehr des Kronprinzen in sein Vaterland ge-
richteten Forderung des Königs Ihres Gemahls entgegenstellen zu müssen
glauben.
Seine Majestät macht lediglich von Seinem Recht als Herrscher und
Vater Gebrauch, wenn Er Bestimmung über den Aufenthalt des Prinzen
trifft, und das Völkerrecht gestattet mir nicht, mich dem zu widersetzen oder
die Ausführung eines gesetzlichen Verlangens des Souveräns und der Regie-
rung von Serbien zu verhindern.
Ich kann daher Euerer Majestät nur empfehlen, den Kronprinzen
dem Könige Seinem Vater zur Verfügung zu stellen. (gez.) Wilhelm.
Anfang Oktober. (v. Dechend und die Stadtmission.)
Der Direktor der Reichsbank, Herr von Dechend, beruft die Ver-
treter von 13 Berliner Großbanken zu sich und bestimmt sie für
den im Anschluß an die bekannte Walderseeversammlung neu ge-
gründeten „evangelisch-kirchlichen Hilfsverein zur Bekämpfung der
religiös-sittlichen Zustände in den großen Städten“ 130.000 Mark
beizusteuern. Der Vorgang wird heftig angegriffen, da nicht zur
evangelischen Konfession gehörige Individuen, sondern Institute,
an denen auch Andersgläubige beteiligt und zu denen der Reichs-
bankpräsident in amtlichen Beziehungen stehe, zu den Zeichnungen
herangezogen seien.
1. Oktober. (Besuch Kaiser Wilhelms in München.)
Galasouper im Residenzschloß beim Prinzregenten, auf den der
Kaiser folgenden Trinkspruch ausbringt:
„Als durch des Himmels unerforschlichen Ratschluß Ich nach dem
Tode Meines geliebten Großvaters und Vaters auf den Kaiserthron berufen
wurde, legte sich schwere Sorge auf Mein Herz angesichts der großen Ver-
antwortung Meines neuen Amtes. Diese Sorge wandelte sich indes bei
ernster Pflichterfüllung bald in Genugtuung an Meinem Beruf.
Ew. Königliche Hoheit waren es, der in hochherzigster Weise die alt-
bewährte Freundschaft, welche Sie mit Meinem verewigten Großvater ver-
band, auf Mich übertrugen. Wie damals im Jahre 1870 das bayerische