Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

146 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober Mitte.) 
und die Wahrung des monarchischen Prinzips; er habe wiederholt erklärt, 
er gehöre zum ganzen Volke, ohne Unterschied des Glaubens, der Abstammung 
und der politischen Parteistellung. Alle Versuche, dem Kaiser eine persön- 
liche Stellungnahme zu Gunsten Stöckers zuzuschreiben, beruhten auf posi- 
tiver Entstellung der Wahrheit. Am wenigsten huldige der Kaiser den 
extremen politischen und konfessionellen Anschauungen Stöckers. Den Kaiser 
gar mit der antisemitischen Bewegung in Verbindung zu bringen, sei eine 
Dreistigkeit, welcher Redner auf das bestimmteste entgegentreten könne. Der 
Kaiser wolle Christen wie Juden allezeit gleichen Schutz gewähren.“ Der 
Redner bestätigt auch, die Ernennung Bennigsens zum Ober-Präsidenten sei 
der eigenste Wunsch des Kaisers gewesen. 
Mitte Oktober. (Italienische Reise Kaiser Wilhelms.) 
Am 11. Oktober nachmittags trifft der Kaiser, der morgens 
früh 4 Uhr Bologna, um 8 Uhr früh Florenz passiert hat, in Rom 
ein und nimmt im Quirinal Wohnung. So begeistert die Stim- 
mung des italienischen Volkes im ganzen war, geschah es doch, daß, 
als beim Einzug die Wagen die Ehrenpforte passierten, ein Regen 
von kleinen roten bedruckten Blättchen auf die Monarchen hernieder 
fiel; auf jedem stand gedruckt: „abasso la tryplice alleanza! Viva. 
la Francia!l Viva I`Alsacia e Lorrena! Viva Trento et Tryeste!“ 
Wie sich später herausstellte, stammten dieselben aus Marseille. 
Am 12. Oktober begibt sich der Kaiser gegen 11 Uhr in 
Begleitung des Prinzen Heinrich in einem Hofwagen aus dem 
Quirinal nach der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan, um an 
dem ihm vom Gesandten von Schlözer angebotenen Dejeuner teil- 
zunehmen. Die Kardinäle Rampolla und Prinz Hohenlohe, sowie 
die Monsignores Mocenni und Agliardi, welche dem Dejeuner bei- 
wohnten, kehrten gegen 1 Uhr nach dem Vatikan zurück. Um die- 
selbe Zeit fuhr das Gefolge des Kaisers in Privatwagen vor dem 
von dem preußischen Gesandten v. Schlözer bewohnten Palaste vor. 
Von hier aus erfolgte darauf die Auffahrt zum Vatikan. Der 
Kaiser saß in dem eigenen, von Berlin gesendeten Hofwagen. in 
weiteren Wagen folgten die General= und Flügel-Adjutanten, Graf 
Herbert Bismarck und das gesamte höhere Gefolge. Der Kaiser 
begab sich zuerst zum Besuch des Papstes in den Vatikan, Prinz 
Heinrich wurde später vom Papste empfangen. Die Rückfahrt aus 
dem Vatikan erfolgte in der nämlichen Weise, wie die Herfahrt 
und ging nach dem preußischen Gesandtschaftspalais. 
Am selben Tage bringt bei dem Diner im Quirinal König 
Humbert folgenden Toast aus: 
„Mit tiefer Freude und lebhafter Dankbarkeit begrüße Ich hier in 
Meiner Residenz, hier in der Hauptstadt Italiens, den Kaiser und König 
Wilhelm II. Die Anwesenheit in Rom des Oberhauptes einer großen Nation
	        
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