Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

160 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November Anf.) 
Artikel. Dieselbe erklärt, daß der Ministerpräsident sich zur Zeit 
der Ausschreitungen gegen das Moabiter Kloster nicht in Berlin, 
sondern in Varzin befunden habe und infolge dessen auch an den 
bezüglichen Votenberatungen und Berichten des Staatsministeriums 
nicht teilgenommen habe. Auf Befehl des Königs habe das Staats- 
ministerium am 4. Dezember 1869 in der Angelegenheit einen vom 
Grafen Bismarck nicht mitvollzogenen Immediatbericht erstattet, in 
welchem es widerriet, strengere Maßregeln gegen die geistlichen Ge- 
nossenschaften zu ergreifen, indem es ausgeführt habe, daß eine 
wirksame Beaufsichtigung der Klöster auf Grund der bestehenden 
gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erzielen sei. Ein dem Bericht 
beigefügter, diese Auffassung des Ministeriums billigender Ordre- 
entwurf sei vom König nicht vollzogen worden. Dieser habe viel- 
mehr die Neuberatung der Angelegenheit in einer Konseilsitzung 
befohlen und erst an dieser habe auch der Ministerpräsident teil- 
genommen. Die „Nordd. Allg. Ztg.“ veröffentlicht alsdann aus 
einem Protokoll vom 2. Februar 1870 nachstehenhe Ausführungen 
des Grafen Bismarck, die die Billigung des Königs erhalten hätten: 
„Der Ministerpräsident Graf v. Bismarck sprach sich dahin aus, daß 
nach seiner Ansicht andere Mittel als die von des Königs Majestät bezeich- 
neten nicht da sind; er könne auch aus politischen Gründen nicht raten, 
darüber hinaus zu gehen, müsse vielmehr davor warnen, etwa in der Dis- 
kussion eine Stellung einzunehmen, welche — in Abweichung von dem Grund- 
satz Friedrichs des Großen, daß Jedermann in Preußen nach seiner Facon 
selig werden könne — das Vertrauen der Katholiken in die Freiheit und 
Sicherheit ihres Kultus erschüttern könne. Die Katholiken in Preußen haben 
sich in den Jahren 1848 und 1866 als treue Unterthanen bewährt; eine 
Erschütterung des Vertrauens der 8 Millionen Katholiken würde ein Nach- 
teil für die Dynastie sein; die Mitglieder einer bedrückten oder Bedrückung 
besorgenden Kirche ließen sich leicht fanatisieren. Je weniger solche Beschwer- 
den vorkommen, je klarer das Bewußtsein gleichmäßigen Rechts sich ausbilde, 
desto mehr schwinden die Klagen, welche früher die Bevölkerung in der Rhein- 
provinz bewegt haben. Die Gefahren, welche von den katholischen geistlichen 
Gesellschaften drohen, seien nach seiner Überzeugung nicht so groß als sie 
Seiner Majestät dem König vielleicht vorschweben. Die Proselytenmacherei 
sei ein schlechtes Geschäft geworden, denn die Zahl der Evangelischen, welche 
katholisch werden, sei weit geringer als die Zahl der Katholiken, welche zur 
evangelischen Kirche übertreten. Eine Stärkung der nihilistischen Elemente, 
welche ein scharfes Einschreiten gegen die Katholiken fordere, sei an sich nicht 
ratsam; man würde aber auch dabei voraussichtlich die Erfahrung machen, 
daß die äußerste Linke selbst für die Jesuiten eintritt, wenn man die Vereins- 
freiheit antasten wollte. Er schließe sich den Intentionen Sr. Majestät des 
Königs dahin an, die Korporationsrechte an Vereine mit größter Vorsicht 
zu gewähren nur bei offenbarem Gewinn für Armen= und Krankenpflege, 
und das Vereinsgesetz gegen geistliche Gesellschaften strenger als bisher, 
namentlich in Bezug auf Ausländer, zu handhaben.“ 
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ fügt diesen Mitteilungen hinzu,
	        
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