Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (Januar 19.) 209 
allgemeiner Enthuisasmus der Polen für einen Krieg gegen Rußland nur 
durch Gewährung der gedachten Bürgschaft entstehen kann. 
Gleichzeitig wird in Lemberg die Richtigkeit von früher ge- 
brachten Vermutungen über den Zweck des Aufenthalts des Mark- 
grafen Sigmund Wielopolski in Galizien behauptet, wonach 
derselbe — in wessen Auftrage bleibt dunkel — sich über die unter 
den Polen herrschende Stimmung betr. des drohenden Krieges zu 
unterrichten gesucht, jedoch allenthalben den Bescheid erhalten habe, 
daß die Polen unter den obwaltenden Verhältnissen an dem Aus- 
bruche eines Krieges kein Interesse hätten und daher ihre Mit- 
wirkung an etwa in Aussicht genommenen Kulissenaktionen ab- 
lehnen würden. 
19. Januar. (Ungarn.) Abg.-Hs.: Ministerpräsident Ko- 
loman Tisza spricht sich bei der Budgetdebatte über seine Stellung 
zur innern Politik Österreichs und der Sachsenfrage 
folgendermaßen aus, nachdem tags zuvor der Sachse v. Meltzl 
eine sehr versöhnliche Rede über die zwischen Ungarn und den Sachsen 
schwebenden Streitpunkte gehalten hatte: 
Ein sehr heikles Thema wurde gestern berührt. Einer der Herren 
Abgeordneten rügte mich deshalb, weil ich, nachdem böhmische Blätter für 
die Trias agitieren, als naturgemäßer Wächter des Dualismus nicht inter- 
veniere. Ich will mich jetzt nicht en détail darüber äußern, was die eine 
Regierung gegen das in dem anderen Staate der Monarchie Geschehene tun 
darf und kann, doch glaube ich, daß auch die Herren Abgeordneten und nicht 
nur ein Minister sehr vorsichtig mit solchen Äußerungen sein müßten, denn 
wenn die böhmischen Blätter so schreiben, so können auch kroatische, pan- 
slawistische und oppositionelle Journale geradeso für die Trias schreiben. 
Würden es der Herr Abgeordnete und die ungarische Regierung billigen, 
wenn sich unter diesem Titel die andere Regierung der Monarchie eine Ein- 
sprache erlaubte! Wir würden auf ein sehr gefährliches Gebiet übergehen. 
Ich würde eine Intervention niemals dulden, doch auch diese Intervention 
nicht fordern. Es ist eine ganz andere Intervention, die bei einer Gelegen- 
heit geschah, als so etwas in die Verfassung des anderen Teiles hineinkommen 
sollte. Damals war es notwendig, daß das damalige Oberhaupt der ungari- 
schen Regierung dagegen seinen Einfluß geltend mache. Allein eine bloß 
journalistisch sich geltend machende Tendenz dazu zu benützen, wäre mit Ver- 
laub der Tod des Dualismus. (Zustimmung rechts.) Geehrtes Haus! Eine 
sehr interessante Äußerung haben wir gestern von dem Herrn Abg. Meltzl 
gehört. Ich fühle mich verpflichtet, kurz darauf zu reflektieren. Der Herr 
Abgeordnete hat — ich gebe zu: in parlamentarischer Manier und in schöner 
Rede — die Beschwerden seiner in Siebenbürgen lebenden Stammesgenossen 
aufgezählt. Darüber will ich einige Worte sagen. Der Herr Abgeordnete 
klagt vor allem das 1876er Gesetz an und stellt es so dar, als wäre es 
geradezu aus feindseliger Gesinnung gegen die siebenbürgischen Sachsen ge- 
schaffen worden. Der Herr Abgeordnete ist im Irrtume. Aus munizipalem 
Gesichtspunkte besaßen vielleicht die Jazygier, Kumanier, Haiduken, in Sieben- 
bürgen die Szekler radikalere Rechte, und doch ist dort, wo der territoriale 
Zusammenhang und die Interessen der Administration es erheischten, mit 
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXIX. 14
	        
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