220 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (Januar 25.- Februar 7.)
stehenden Antrages zu demselben Stellung zu nehmen und getreu seinem
altbewährten Patriotismus, der ihn stets veranlaßt hat, einzustehen für die
Wolfahrt und das Gesamt-Interesse des Reichs, mit gewohntem Freimute
seine Meinung dahin zum Ausdrucke zu bringen, daß die Änderung der
bestehenden Schulgesetzgebung im Sinne des Antrages Liechtenstein eine tief
zu beklagende Erschütterung der Verhältnisse der Schule, unermeßlich in
ihren verderblichen Folgen und Wirkungen, bedeuten würde. Der Gemeinde-
rat erwartet daher, das hohe Haus der Abgeordneten des Reichsrates werde
dem fraglichen Antrage keine Folge geben."
Eine wenige Tage später gefaßte Resolution des Zentralausschusses
des niederösterreichischen Lehrervereins, welcher 2.650 Mitglieder zählt, „erhebt
feierliche Einsprache gegen eine Änderung der geltenden Schulgesetze im
Sinne des Lichtensteinschen Antrages, welcher als ein frevelhafter Angriff
auf die freie Schule, auf die allgemeine Volksbildung, auf die gesunde Ent-
wicklung des Gemeinwesens bezeichnet werden muß ..“
Am 9. Februar beschließt der Ausschuß des Zentralverbandes der
tschechischen Lehrervereine eine Petition an den Reichsrat, den Antrag „als
der Aufklärung der Volksbildung und der kulturellen Aufgabe der Volks-
schule gefährlich und schädlich" schon in erster Lesung abzulehnen.
Eine überaus schroffe Verurteilung läßt auch die ungarische Presse
dem Antrage widerfahren. Der „Pester Lloyd“ findet den stürmischen
Unwillen gegen diese Zumutung, welche eine kodifizirte Unverschämtheit sei,
begreiflich. „Pesti Hirlap“" schreibt: „Wer keine richtige Vorstellung davon
besitzt, welche Gefahr die Bestrebungen der Feudal-Klerikalen gegen die all-
gemeine Freiheit bilden, dem empfehlen wir eindringlich, sich mit dem Gesetz-
entwurfe Liechtenstein bekannt zu machen. Niemand sage uns, was das Ungarn
angehe und halte das niemand für gleichgiltig, welche Erscheinungen die
klerikalen Bestrebungen im Nachbarreiche an die Oberfläche treiben. Im
Gegenteil, die öffentliche Meinung Ungarns muß von heute ab den Vorgängen
in Österreich mit gesteigerter Aufmerksamkeit folgen. Selbst in der Aera Taaffe
hat noch kein gefährlicherer und verhängnisvollerer Antrag das Licht erblickt!“
„Egyetertes“ schließt seine Betrachtung mit folgenden Worten:
„Dieses Schulgesetz ist ein Keil, welcher entweder die Majorität sprengt oder
die Opposition vom Schauplatze verfassungsmäßigen Kampfes wegdrängt.
Das Staatsschiff Österreichs kracht in allen Fugen gerade in dem Augen-
blicke, wo der auswärtige Horizont allerwärts mit gewitterschwüler Dunkel-
heit bedeckt ist.“
Das Regierungsblatt „Nemzet“ führt aus: Dieser Antrag, der das
Unterrichtswesen in die Bande und die Finsternis des Konfessionalismus
schlagen will, ist keine ephemere und vereinzelte Erscheinung; der österreichische
Feudalismus und Klerikalismus sind eine Macht, welche Österreich ernstlich
bedroht und mit der auch wir rechnen müssen. Das ist ein dunkler, starrer,
gewalttätiger Geist, der überall erscheint, wo es eine Dissolution gibt..
Der dortige Episcopat und die Feudalen haben dem Deutschtum gegenüber
eine um so vorteilhaftere Position, als sie auf die Tschechen zählen können,
und es scheint, daß die feudal-ultramontane Liga in überschäumendem Selbst-
bewußtsein ihre Kraft kennt; denn sie wagt bereits Angriffe gegen Ungarn
zu richten; wenigstens deuten darauf die gelegentlichen Ausfälle des „Vater-
land“ hin. Doch ist zu hoffen, daß auch die Bäume dieser Liga nicht in
den Himmel wachsen.
25. Januar—7. Februar. (Österreich: Zuckersteuer.)
Abg.-Hs.: genehmigt die Vorlage unverändert nach dem Vorschlage
der Kommission.