266 Die Österreichisch- Ungarische Monarchie. (Juli 28.—29.)
der akademische Senat nicht berechtigt sei, ähnliche Beschlüsse zu
fassen.
28. Juli. (Österreich: Die Jungtschechen und das
Slawentum.) Die jungtschechischen „Narodni Listy“ beklagen sich,
daß die tschechische Nation bei der Kiewer Slawen-Feier nicht offi-
ziell vertreten sei.
„Diejenigen, welche daran schuld sind, erklären „Narodni Listy“, haben
eine Sünde auf dem Gewissen, die sie niemals vor dem Forum der Geschichte
werden verantworten können. Die tschechische Nation weile jedoch in ihrer
überwiegenden Majorität wenigstens im Geiste bei dem Feste, denn das Band
der geistigen Blutsverwandtschaft zwischen allen Slawen sei so fest, daß es
niemals zerrissen werden könne. An der Nichtanwesenheit der Tschechen bei
der Feier in Kiew seien die alttschechischen Führer schuld, doch dürfe die
Welt deshalb nicht denken, daß die Tschechen aufgehört haben, Slawen zu
sein, wenn deren „Staatsmänner“ bereits keinen Sinn fürs Slawentum
haben oder nicht den Mut besitzen, sich zu demselben öffentlich zu bekennen.“
29. Juli. (Österreich: Tschechische Volksversamm-
lung.) In Melnik halten die Abgg. Mattusch und Tonner
(alttschech.) eine Versammlung ab, in der sie den Rechenschaftsbericht
über ihre Tätigkeit in der Kammer erstatten. Die Ausführungen
des Abg. Mattusch hindern indes nicht die Annahme folgender Re-
solution:
„Indem wir die Tätigkeit der tschechischen Delegation im Reichsrate
verfolgen, welche voll Opferwilligkeit und Dienstergebenheit zur Regierung
und ihrem System war, können wir nach Anhörung des Berichtes unseres
Abgeordneten Mattusch unsere Überzeugung nicht verhehlen, daß dasjenige,
was die Regierung dem tschechischen Volke gewährt, in keinem Verhältnisse
zu allen Opfern steht, welche die tschechische Delegation mit Selbstverleug-
nung und mit Hintansetzung der Interessen des Volkes stets bringt, und
welche infolge ihres steten Wachsens die vollständige Verarmung des Volkes
herbeiführen können. Das alles, sowie unsere Befürchtungen in bezug auf
die auswärtige Politik sind geeignet, die Unzufriedenheit und Erbitterung zu
vermehren, welche schon lange unser Volk beherrschen und auf welche wir die
Aufmerksamkeit unserer Abgeordneten lenken.“
Ein Wähler hatte einen von Mattusch im Reichsrate gethanen
Ausspruch über die Vorzugsstellung der deutschen Sprache kritisiert.
Darauf erwidert Mattusch u. a.:
„Soll ich verkennen, daß in Österreich eine Sprache besteht, welche
dem Verlaufe der Geschichte und ihrer Geltung nach eine Stellung einnimmt,
welche das Tschechische niemals einnehmen wird! Im Reichsrate haben wir
das Recht, tschechisch zu sprechen; es wurde daselbst auch tschechisch gesprochen,
warum wird aber jetzt deutsch gesprochen? Die einfache Zweckmäßigkeit be-
dingt dies. Es muß eine Vermittlungssprache geben, wiewohl die Gleich-
berechtigung durch dieselbe nicht berührt werden darf. Wenn die Minister
am grünen Tische versammelt sind, wie sprechen sie! Deutsch. Wenn die
österreichische Regierung mit der ungarischen verhandelt, wie geschieht dies?
In deutscher Sprache. In Österreich gibt es neun Sprachen; damit nun
die Staatsaufgaben rasch erledigt werden, ist eine Vermittlungssprache nötig,