274 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (Sept. 18.— Okt. 1. Hälfte.)
Eine von einem der Vertrauensmänner vorgeschlagene Resolution, die
die Forderung eines tschechischen Staatsrechtes ausspricht, über das sämtliche
Redner geschwiegen hatten, wird zum Schluß einstimmig angenommen.
Mit Bezug auf diese Resolution, die von der jungtschechischen
Presse als Niederlage für die alttschechische Partei ausgelegt wird,
bemerkt das Organ der letzteren, die „Politik“:
„Es ist leicht vorauszusehen, daß gerade diese Betonung des böhmi-
schen Staatsrechtes wieder einen der bekannten Stürme in der faktiösen Presse
hervorrufen wird. Wir werden ihren Beifall niemals erlangen, daher muß
uns ihr Urteil gänzlich gleichgiltig sein. Dagegen sind wir fest überzeugt,
daß die Betonung unseres Staatsrechtes seitens des Monarchen nur mit
Wohlwollen zur Kenntnis genommen werden kann. Wir sind davon über-
zeugt einerseits deshalb, weil die Macht und die Selbständigkeit der Mo-
narchie und der allerhöchsten Dynastie — in jenen Zeiten, da das böhmische
Staatsrecht in voller Kraft bestand, wahrlich nicht geringer waren, als seit-
dem es einer zentralisierenden und über alte verbriefte Rechte rücksichtslos
zur Tagesordnung übergehenden Staatskunst gelungen ist, jene alten Rechte
in der Praxis zum Schweigen zu bringen, und zweitens deshalb, weil ge-
rade der Monarch zu wiederholtenmalen gern jenes historische Recht aner-
kannt hat, so in der denkwürdigen Botschaft an unsern Landtag vom 12.
September 1871, wie auch in der Thronrede vom Oktober 1879. Ferner
aber ist gewiß, daß alle diejenigen Elemente, auf deren Bundesgenossenschaft
wir rechnen, und zwar nicht bloß unsere slawischen Stammesgenossen, son-
dern auch die Deutsch-Konservativen für unser historisches Recht entsprechendes
Verständnis besitzen. Der natürliche Gegner unseres Staatsrechtes ist einzig
und allein die deutsch-zentralistische Partei, und zwar ebensosehr aus zentra-
listisch-doktrinären, wie aus deutsch-nationalen Gründen, welche mit dem
Interesse der Dynastie und der Monarchie nichts gemein haben.
18. September. (Österreich: Festlichkeiten für Kaiser
Wilhelm.) In der Sitzung des Wiener Gemeinderats wird be-
antragt, die Stadt möge zu Ehren der Anwesenheit des deutschen
Kaisers, „dem in Österreich Millionen deutscher Herzen als dem
Förderer wahrer Volkswohlfahrt und als dem Schützer des Friedens
entgegenschlagen“, Festlichkeiten in großem Maßstabe veranstalten.
Der Bürgermeister erklärt, daß sich das Präsidium mit dieser Frage
seit längerer Zeit beschäftige und nur das vom Hofe festgestellte
Programm erwarte, um seine Anträge zu formulieren.
Angesichts der von Parteigängern der antisemitischen Fraktionen im
Gemeinderate und Landtage gestellten, auf den festlichen Empfang des Kaisers
Wilhelm bezüglichen Anträge betonen die regierungsfreundlichen Blätter als-
bald aber übereinstimmend, daß der Empfang des Verbündeten des Kaisers
Franz Joseph nicht zur Parteisache herabgewürdigt werden dürfe, und daß
die allgemeine Verehrung, die überall in Österreich dem jungen deutschen
Kaiser, der in so kurzer Zeit durch weise und strenge Erfüllung seiner Re-
gentenpflichten Europa mit Bewunderung erfüllt hat, nicht zu agitatorischen
Zwecken mißbraucht werden solle.
1. Hälfte Oktober. (Ungarn: Panslawismus.) In der
Versammlung der Superintendenz des evangelischen Montandistriktes