Frankreich. (Februar 29.) 323
der neuen Tripel-Allianz weniger zufrieden, als es den Anschein hat, zumal
da Rußland darin so schlecht ersetzt ist, und darum will Deutschland auch
nicht den Ausbruch des Krieges. Sicherlich sehen wir wegen der neuen Hal-
tung des Kaisers von Rußland, wegen seines freien Verfahrens und seiner
Opfer zur Vermehrung der Militärkräfte den eingefleischtesten Gegner Frank-
reichs so nervös und unruhig. Schon 1875 hatten wir eine Dankesschuld
gegen Alexander II. (Beifall); aber in unserem Lande herrschen so lebhafte
Sympathien für Rußland, daß niemand die Vergrößerung dieser Schuld be-
dauern wird. (Anhaltender Beifall und Bewegung auf allen Bänken.) Mehr
als einmal, seitdem der Zar aus der alten Tripel-Allianz ausgetreten, hat
Bismarck bedauert, daß er nicht schon früher, wie er sich ausdrückte, Frank-
reich saigna à blanc, heute ist das nicht mehr möglich, nicht weil ich glaube,
daß die Allianz mit Rußland gegenwärtig verwirklicht wäre, ja, ich meine
sogar, daß der Moment noch nicht gekommen ist für eine solche Allianz; sie
könnte die Ereignisse überstürzen, aber es genügt, fest überzeugt zu sein, daß
Rußland an unserem Bestand ein kapitales Interesse hat. (Applaus.) Be-
stünden nur gegenseitige Sympathien und gemeinsame Antipathien, wäre ich
skeptischer, aber Rußland hat ein Interesse, uns als Großmacht zu erhalten,
um Deutschland in Orientsachen koulanter zu machen; denn seit hundert-
fünfzig Jahren hat Rußland nie auf das Ziel Konstantinopel verzichtet.
Man glaubte, daß Rußland zu groß und mächtig werde, und bekämpfte es.
Seitdem haben sich die Verhältnisse bezüglich des Mittelmeeres geändert.
Italien, England und Frankreich sind wichtige Seemächte geworden, die Land-
enge von Suez wurde durchstochen, und keine Nation würde mehr für die
Existenz des Sultans kämpfen. Vom französischen Standpunkte kann die
Orientfrage heute anders angesehen werden, als vor dreißig Jahren. (Beifall.)
Bismarck, fährt Redner fort, hat auf dem Kontinent das europäische
Gleichgewicht umgestoßen, und er allein trägt die Verantwortlichkeit für die
schrecklichen Rüstungen, denen Europa unterliegt. (Beifall.) Er kann aber
nicht verhindern, daß England an seine asiatischen Interessen denkt, Rußland
undurchdringlich bleibt, und daß Frankreich eine große Nation ist, daß gegen-
über der Tripel-Allianz drei große unabhängige Mächte bestehen, welche ge-
meinsame Interessen im gegebenen Augenblicke vereinigen können. Von dieser
Sachlage Nutzen zu ziehen, darauf sollen alle unsere Anstrengungen abzielen.
(Lebhafter Beifall.) Diese Aufgabe wäre sicherlich leichter, wenn Frankreich
nicht gegen sich seine Regierungsform hätte. (Proteste links, Beifall rechts.)
Eine Demokratie kann nicht regierenden Souveränen spontan Vertrauen ein-
flößen. (Erneute Proteste und Bewegung.) Die Zeit kann diesen Eindruck
abschwächen, wenn die Republik der Mäßigung sich befleißt. (Lärm links.)
Was soll man aber sagen, wenn in siebzehn Jahren siebzehn Kriegsminister
waren? (Beifall rechts, heftige Unterbrechung links.) Ueberall herrscht Wan-
delbarkeit, überall stößt man auf die Unmöglichkeit, Unterhandlungen zu be-
ginnen, da niemand Aussichten hat, sechs Monate an der Regierung zu
bleiben. (Anhaltender Lärm links. — Leygues ruft: Ihre Genossen haben
ja alle Krisen hervorgerufen.) — Marquis de Breteuil (fortfahrend):
„Machen Sie gute innere Politik, so wird eine gute äußere Politik möglich
sein." Geben wir Bismarcks Worten, daß wir Haß gegen andere Nationen
hegen, ein Dementi. Sein größter Wunsch ist, uns zu isolieren; trachten
wir, nicht isoliert zu sein. Wünschen wir, daß der Zar, der den Frieden
will — und niemand wird hier an seinen Worten zweifeln (Beifall) — in
seiner unabhängigen Situation verharre und der Schiedsrichter über den
Frieden bleibe. Wir müssen die Gelegenheit ergreifen, ihm unsere wahren
Sympathien zu beweisen (Bewegung), ohne aber in Demonstrationen zu über-
treiben. (Anhaltende Bewegung.) — Abg. Laur: Und was thun Sie mit.
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