Frankreich. (Mai 2. Hälfte—Juni 4.) 335
in Paris ins Leben zu rufen. Prinz Viktor vertraut die Ober-
leitung den beiden Abgeordneten Jolibois und Baron von Mackau
an. Der erstere ist einer der ältesten Ratgeber des Prinzen Viktor
Napoleon. Baron Mackau ist zwar Imperialist, steht aber auch
in innigen Beziehungen zu der royalistischen Gruppe der Rechten,
deren Haupt der Herzog von La Rochefoucauld ist.
2. Hälfte Mai. (Herzog von Aumaleg spricht offen seine
Mißbilligung der boulangistischen Politik des Grafen von Paris
aus. Der Herzog erklärt, er hätte nie geglaubt, daß sein Neffe,
welcher heute das legitime Königtum vorstelle, denselben General
Boulanger unterstützen werde, welcher ihn (den Herzog) seines Ge-
neralsranges beraubte und dessen Politik lediglich dem bonaparti-
stischen Demagogentum dienen könne.
25. Mai. (Militärdienstpflicht.) Der Senat nimmt den
Artikel 40 des Militärgesetzes an, welcher die Dauer der Militär-
dienstpflicht auf 25 Jahre festsetzt; davon entfallen 3 Jahre auf
die Dienstpflicht in der aktiven Armee und 6 ½ Jahre in der Re-
serve derselben, 6 Jahre in der Territorial-Armee und 9½ Jahre
in der Reserve der Territorial-Armee.
31. Mai. (Ungarn und die Pariser Weltausstellung.)
Auf eine Interpellation in der Kammer erwidert Goblet:
Er habe den französischen Botschafter in Wien aufgefordert, die An-
gelegenheit bei dem Grafen Kalnocky zur Sprache zu bringen. Dieser habe
sein lebhaftes Bedauern über den Zwischenfall ausgedrückt und erklärt, weder
die Regierung noch er hätten die Absicht, Frankreich zu beleidigen, sie
wünschten vielmehr mit diesem Lande die besten Beziehungen zu unterhalten;
auch Tisza habe nachher erklärt, daß er keinerlei verletzende Absichten gegen-
über Frankreich gehabt habe. Diese Erklärungen seien erfolgt, und, wie
man annehmen müsse, aufrichtig.
1. Juni. (Beginn des Finanzjahrs.) Die Kammer
nimmt mit 287 gegen 228 Stimmen den Antrag des Finanzmini-
sters an, wonach das Finanzjahr mit 1. Juli beginnen soll.
4. Juni. (Verfassungsrevisionsantrag Boulangers.)
Boulanger erscheint zum erstenmal als Deputierter in der Kammer,
bringt den Antrag, die Revision der Verfassung betreffend, ein und
verlangt Dringlichkeit für denselben.
Darauf verliest er die Begründung seines Antrages, in welcher er
hervorhebt, die Wahlen, welche so viele Kundgebungen auf seinen Namen
veranlaßt hätten, machten es ihm zur Pflicht, die Leiden des Landes hier
darzulegen. Die Krisis drohe sehr ernst zu werden. Frankreich habe schon
nicht mehr das Vertrauen zum nächsten Tage, welches jedem wohlregierten.
Lande notwendig sei. Die Republik soll nicht das Eigentum von einzelnen
Personen sein, sie soll keine Bürger ausschließen; wir haben eine Republik,