Rußland. (Januar Mitte.) 379
selbstherrscherliche Rechte die Schicksale des Vaterlandes lenkt. Eine ganze
Reihe von Maßnahmen, die da bezwecken: die Verbesserung und Entwicklung
der Volkswirtschaft und der russischen Produktion, die Eröffnung neuer
Transport= und Handelswege, die Wahrung der Industrie in den Händen
russischer Leute, die Volksbildung auf Grundlage des dem Russen eigenen
religiösen Gefühls, das Streben zur Befreiung des Staatskredits von den
drückenden ausländischen Fesseln, die Entwicklung der wiedererstandenen Flotte
des Schwarzen Meeres und die militärischen Schutzmaßregeln — alles das,
vereint mit den vorhergegangenen auf die innere Wohlfahrt des Reiches ge-
richteten Verordnungen, erweckt in Ihrem treuen Volke jene belebende Er-
hebung des Geistes, mit welcher es, überzeugt von der eigenen Kraft, inmitten
seiner friedlichen Arbeit ruhig auf die unabhängige und unbeugsame Stellung
Rußlands blickt, die dasselbe durch Ihren weisen Entschluß zum Wohle des
auf Recht und Wahrheit beruhenden Friedens eingenommen hat.
Der Zar beantwortet die Adresse mit folgendem Refkript:
Fürst Wladimir Andrejewitsch! Es ist mir angenehm, auch diesmal
in Ihrem Begrüßungsschreiben zum neuen Jahre die Stimmen Moskaus
und die Glückwünsche zu vernehmen, welche aus dem Herzen Rußlands
kommen. Ich zweifle nicht an der Aufrichtigkeit des russischen Gefühls,
welchem dieselben entspringen, und bin überzeugt, daß ganz Rußland im
Vereine mit mir an diesem Tage Gott bittet, unsere Kräfte auf die Befesti-
gung der Ordnung, welche auf Glauben und Recht gegründet ist, und auf
die Vermehrung des Volkswohlstandes zu richten. Auf dieses Ziel sind auch
alle meine Wünsche gerichtet, in der zuversichtlichen Hoffnung, daß der Friede,
mit welchem uns die Vorsehung segnet, auch im begonnenen Jahre und in
den künftigen Jahren gestatten wird, alle Kräfte des Reiches und alle An-
strengungen seiner treuen Söhne der Sache des inneren Fortschrittes zu
widmen. Verbleibe Ihnen auf immer unveränderlich wohlgewogen
(gez.:) Alexander.
Mitte Januar. (Reaktionäre Verwaltungsreformen.)
Der Minister des Innern, Tolstoi, legt dem Reichsrat den Ent-
wurf einer Verwaltungsreform vor.
Danach soll zuerst eine neue Beamtenkategorie gebildet werden. In
den 35 Gouvernements und 5 Gouvernements-Kreisen, in denen die Insti-
tution eingeführt werden soll, wäre für wenigstens 10,000 und für höchstens
30,000 Einwohner männlichen Geschlechtes ein Natschalnik zu ernennen; im
ganzen würden daher ungefähr 2000 Natschalniki mit 2500 Rubel Gehalt
ernannt werden, so daß der Kostenaufwand der neuen Institution sich jähr-
lich auf circa 5 Millionen Rubel stellen würde. Der Gouverneur und der
Adelsmarschall haben dem Minister des Innern die Kandidaten für die neuen
Aemter vorzuschlagen; der Minister kann aber diese Kandidaten zurückweisen
und andere Edelleute für die Natschalnikposten ernennen. Nach dem neuen
Projekte erstreckt sich die Machtsphäre der Bezirkschefs nicht nur auf die
Bauern, sondern auch auf die sogenannten „Kleinbürger“; sobald ein Bezirks-
chef findet, daß ein Bauer oder Kleinbürger ihm nicht den gebührenden
Gehorsam leistet, kann er denselben dem Wolostgericht zur Bestrafung über-
weisen; wenn der Bezirkschef mit dem Spruch dieses Gerichts nicht zufrieden
ist, kann er denselben umstoßen und der Verurteilte kann dann wiederum an
das Plenum der Bezirkschefs appellieren. Der Bezirkschef, zu dessen Obliegen-
heiten es gehört, die Aufsicht über die bäuerlichen Angelegenheiten auszu-
üben, erhält das Recht, alle Angelegenheiten, welche auf den Loskauf Bezug
haben, zu entscheiden.