Kußland. (März 2. Hälfte —April 2. Hälfte.) 381
2. Hälfte März. (Lutheraner.) Der Reichsrat lehnt mit
28 gegen 12 Stimmen die Vorlage des Grasen Tolstoi, derzufolge
es künftighin dem Minister des Innern gestattet werden sollte,
Pastoren in den baltischen Provinzen nach erfolgter Suspendierung
von seiten der Gouverneure abzusetzen, ohne in jedem einzelnen Falle
das Votum des Konsistoriums einzuholen, ab. Gegen die Vorlage
stimmt auch der Bruder des Kaisers, Großfürst Alexis. Das Ple-
mum des Reichsrats nimmt im April dennoch die Vorlage an.
31. März. (Stempelsteuergesetz.) Es wird ein Stempel-
steuergesetz veröffentlicht,
das statt der bestehenden einfachen Steuer von 15 und 80 Kopeken
auf russische und ausländische Aktien, Anteilsscheine, Obligationen und Pfand-
briefe, sowie auf ausländische Fonds jeder Art eine progressive Steuer einführt.
Anfang April. (Antideutsche Regierungsmaximen.)
Nach einer der „Pol. Korr.“ aus St. Petersburg zugehenden Mel-
dung entschied der Regierungssenat über die im Wege einer Be-
schwerde angefochtene Verordnung des Gouverneurs von Livland,
wonach Eingaben in deutscher Sprache weder von Gemeindeämtern,
noch von Gerichten zuzulassen wären, dahin,
daß diese Verordnung begründet ist, indem die russische Sprache als
Staatssprache zu gelten habe und die deutsche Sprache nur im internen Ver-
kehre der betreffenden Korporationen der Ostseeprovinzen zulässig sei. Der
Senat traf ferner die Entscheidung, daß Kommunalbehörden in den Ostsee-
provinzen Kommunalgelder für kirchliche Zwecke nicht mehr verwenden dürfen,
was für mehrere protestantische Kirchen-Institute den Wegfall der ihnen bis-
her gewährten Kommunalbeiträge bedeutet.
Anfang April. (Maßnahmen gegen die evangelische
Kirche.) Das Ministerium des Innern ordnet an,
daß die Prediger-Synoden fortan nur in Gegenwart eines Vertreters
der Regierung stattfinden dürfen, welcher vorher die Tagesordnung dieser
kirchengesetzlich vorgeschriebenen Versammlungen zu prüfen und zu bestätigen
hat. Ferner sind die Beschlüsse der Synoden dem Minister des Innern zur
Bestätigung zu unterbreiten. Der Aufsicht des Ministeriums unterliegt ferner
die gesamte Thätigkeit der Oberkirchenvorsteherämter und der Gemeinde-Ver-
waltungen der einzelnen Kirchen, die dem Ministerium Rechenschaftsbericht
über die von ihnen verwalteten Gelder vorlegen müssen.
2. Hälfte April. (Bogdanowitsch.) Die Ernennung des
früher in Ungnade gefallenen russischen Generals Bogdanowitsch,
eines der Hauptführer der panslawistischen Agitation, zum Geheimrat
im russischen Ministerium des Innern bespricht die „Köln. Ztg.“
in einem längeren Artikel, der schließt:
Aus dieser Handlung, die mit dem Charakter Alexanders III. in so
grellem Widerspruch steht, vermögen wir keinen andern Schluß zu ziehen,
als daß der Panflawismus zur Stunde bereits stärker ist als der Zar selbst.
An dem Tage, wo der Zar die Ernennung des Bogdanowitsch vollzog, wußte