Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Nebersicht der politischen Eutwickelung des Jahres 1888. 417 
freundliche Beziehungen zu Deutschland gepflegt und diese Beziehungen 
wurden noch fester geknüpft durch einen Gegenbesuch, den der König 
im August in Berlin machte, um Patenstelle bei dem fünften Sohn 
des Kaisers, dem die Namen Oskar Karl Gustav Adolf verliehen 
wurden, zu übernehmen (31. August). Fast noch wichtiger war der 
Besuch in Kopenhagen, gerade weil hier naturgemäß feindselige Ge- 
fühle gegen Deutschland fortwuchern, die erst zu überwinden sind. 
Aber schon bei der Nachricht von dem Tode Kaiser Wilhelms des 
Alten hatte der dänische Reichstag eine so edle, teilnehmende Hal- 
tung gezeigt, daß ein feierlicher Dank dafür wohl angebracht und 
die Ueberleitung in völlige Aussöhnung möglich schien. Ganz ohne 
einige feindliche Demonstrationen ging es allerdings nicht ab. 
Als die Bekanntmachung erschien, daß der erste Besuch des 
Kaisers dem Zaren gelten werde, war die öffentliche Meinung zwar 
sehr erfreut darüber wegen der friedlichen Bedeutung der Reise, 
hatte es aber doch nicht ganz verstanden, warum gerade der aller- 
erste Besuch dem mehr verdächtigen als befreundeten Russen gelten 
solle. Es war ein Zeichen der Festigkeit des Dreibundes und des 
unbedingten Vertrauens, das der Fürst Bismarck genießt, daß 
Oesterreich und Italien trotz dieser anscheinenden Bevorzugung 
keinerlei Verstimmung oder Unruhe zeigten, als ob in Petersburg 
irgend etwas ihnen Nachteiliges angebahnt werden könne. 
In den „Preußischen Jahrbüchern“ wurde darauf hingewiesen, 
daß der Besuch in Petersburg der erste sein müsse, damit die wirk- 
lich intim befreundeten Höfe von den dort empfangenen Eindrücken 
nachher unterrichtet werden könnten. Umgekehrt würde die Reise 
politisch viel weniger wertvoll gewesen sein. Die ganze Weisheit 
dieser Anordnung trat aber erst hervor, als nun Ende September 
Kaiser Wilhelm die zweite Rundreise zu den süddeutschen Höfen, 
nach Wien und Rom antrat. Der Jubel, der ihn hier von Platz 
zu Platz empfing und begleitete und endlich bei den heißblütigen 
Italienern beinahe seinen Höhepunkt erreichte, war so groß, so über- 
wältigend, daß ein Besuch bei den Russen hinterher als ein Abfall, 
eine Art Herabsteigen hätte erscheinen müssen. 
Ob irgend eine vertragsmäßige Abmachung auf einer dieser 
Reisen erfolgt ist, ist nicht bekannt geworden; obgleich die beiden 
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXIX. 27
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.