Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

418 Nebersicht der pelitischen Entwinelung des Jahres 1888. 
Minister des Auswärtigen, Kalnoky und Crispi, vorher den deut- 
schen Reichskanzler in Friedrichsruh besuchten, so ist es doch auch 
nicht wahrscheinlich: das Hauptresultat wird das vor aller Augen 
liegende sein: festester Zusammenhalt des Dreibundes auch unter 
der neuen Regierung in Deutschland, ohne Feindseligkeit gegen 
Rußland, überhaupt ohne aggressive Tendenzen, daher allein zum 
Zwecke der Erhaltung des Friedens. So kam es, daß im Laufe des 
Jahres 1888 die seit 1886 von Kriegsbefürchtungen aufgeregte 
öffentliche Meinung Europas sich wieder beruhigte. Dies wieder- 
gewonnene Sicherheitsgefühl war so groß, daß es auch durch eine 
am 13. November bekannt gemachte Dislocierung der russischen 
Truppen an der Westgrenze nicht aufgestört wurde und endlich im 
Dezember es dem russischen Finanzminister glückte, eine seit langem 
Ruffisch vergeblich ersehnte große Anleihe von 125 Millionen Goldrubeln 
Anleihe. 
El- 
— angeblich nur zu Konvertierungszwecken — unterzubringen. Die 
offiziösen Blätter in Deutschland geben aber dem deutschen Publikum 
den Rat, die Gelegenheit zu benützen, die russischen Werte abzu- 
stoßen und sie den Franzosen, die die Konvertierung in der Haupt- 
sache übernommen hatten, zuzuschieben. Dieser Rat wurde meisten- 
teils befolgt und so dem gefährlichen Zustand, daß gerade Deutsch- 
land der Hauptgläubiger Rußlands war, ein Ende gemacht. Wenn 
die Russen nunmehr säumig in der Zinszahlung werden sollten, so 
würden sie damit auch ihre guten Freunde, die Franzosen, schädigen. 
Auf dem Grenzgebiet auswärtiger und innerer Politik Deutsch- 
"t lands liegt die elsaß-lothringische Paß-Verordnung vom 22. Mai. 
Verord. Schon im Jahrgang 1886 haben wir die eigentümliche und wich- 
nung tige Erscheinung besprochen, daß die Empfindungen des Hasses im 
französischen Volke gegen alles Deutsche seit dem Kriege sich nicht 
gemindert, sondern namentlich in den letzten Jahren gesteigert haben. 
Der Grund wird sein, daß die Franzosen allmählich mehr und 
mehr auch am eigenen Leibe, in Handel und Wandel empfinden, 
daß sie nicht mehr die große Nation sind, Paris nicht mehr die 
Hauptstadt der Welt, französischer Geschmack nicht mehr der aner- 
kannte und maßgebende. Der Ruf nach Revanche bedeutet, daß sie 
alle diese Güter wieder erobern wollen, nicht bloß Elsaß-Lothringen. 
(Vgl. Preuß. Jahrb. Bd. 57 S. 304.) Da nun vorläufig die Re-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.