Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Nebersicht der yolitiscen Entwickelung des Jahres 1888. 427 
erlaubten und außerdem ein zehnjähriger Uebergangszustand geschaffen 
würde. Aber obgleich darüber mit den Konservativen ein Kompromiß 
so gut wie abgeschlossen war, so entstand im letzten Augenblick eine 
Irrung zwischen dem Abgeordneten v. Rauchhaupt und dem Führer 
der Nationalliberalen Hobrecht, infolge deren die Konservativen 
wieder mit dem Zentrum gingen. Das Abgeordnetenhaus nahm 
also den Verfassungsparagraphen, die Armenschule und auch sonst 
für gewisse Verhältnisse die vorläufige Beibehaltung des Schulgeldes 
an. Weniger durch den materiellen Inhalt als eben durch die 
Kooporation der Konservativen mit den Klerikalen war dieser Be— 
schluß von großer Bedeutung und für den Fortbestand des Kartells 
unheilverkündend. Ganz unerwarteter Weise wurde durch das Da- 
zwischentreten der Regierung im Herrenhause das Schiff wieder in 
den richtigen Kurs hinübergelootst. Das Herrenhaus lehnte die 
Beschlüsse des anderen Hauses ab und stellte sich auf den Stand- 
punkt der Mittelparteien (16. Mai). Als die Vorlage wieder an 
die zweite Kammer zurückkam, trat ein Teil der Konservativen, der 
nur aus taktischen Gründen das erstemal mit der Majorität gestimmt 
hatte, über und so gewann der Kartell-Gedanke noch im letzten 
Augenblick die Oberhand (25. Mai). (Vgl. Preuß. Jahrbücher 
Bd. 61 S. 529 und S. 654.) 
Die Friktionen zwischen dem rechten und linken Flügel der gartell 
Kartell-Parteien dauerten nichtsdestoweniger oder umsomehr das „Frik- 
ganze Jahr hindurch fort. Die Vereinigung selbst war ja ihrer 
Zeit nur zum Zweck der gerade bevorstehenden Septennats-Wahlen 
geschlossen worden und wurde jetzt für die Abgeordnetenwahlen nicht 
erneuert. Das eigene Schwergewicht hielt sie aber doch thatsächlich 
im wesentlichen zusammen; heftige Angriffe der „Kreuzzeitung“ und 
des „Reichsboten“, die von der „Nordd. Allg. Ztg.“ und der „Kon- 
servativen Korrespondenz“, dem Organ der Parteileitung, eben so 
entschieden zurückgewiesen wurden (vgl. S. 105, 106, 110, 114), 
ließen die äußerste Rechte als den Störenfried erscheinen und gaben 
dadurch den Nationalliberalen Oberwasser. Das endliche Resultat 
der Wahlen (am 6. November) war, daß sie und die Freikonser- 
Z. 8 von oben sind die Worte „Unberührt bleibt ferner die Erhebung von 
Schulgeld“ vor „an“ ausgefallen.
	        
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