Die
Par-
teien.
428 Hebersicht der politisezen Entwickelung des Jahres 1888.
vativen eine Anzahl Sitze gewannen, die die Freisinnigen und die
Deutschkonservativen verloren. Die Zahl der „Deutschfreisinnigen“
im Abgeordnetenhause sank damit auf 29. Ein Beweis, daß diese
Partei in den Mittelklassen, die die Abgeordnetenwahlen thatsäch-
lich beherrschen, allen Boden verloren hat. Bei den Nachwahlen
zum Reichstag aber, unter dem allgemeinen Stimmrecht gewann
dieselbe Partei so viele Sitze, daß der ganz gesunkene Mut dadurch
wieder sehr gehoben wurde.
Je stärker in einem Staate die Monarchie ist, desto mehr
kommt auf die Individualität des Monarchen an. Obgleich es
nach der konstitutionellen Auffassung den Parteien verboten ist, den
Monarchen für sich in Anspruch zu nehmen, so liegt doch die Ver-
suchung dazu sehr nahe und die Parteien pflegen, eine wie die
andere, jede kleinste Kundgebung, die sich zu ihren Gunsten aus-
legen läßt, mehr oder weniger offen, oft auch mit etwas künst-
licher Korrektion und Nachhilfe, für sich zu verwerten. Meist ist
dann noch die Gegenpartei unklug genug, durch heftiges Be-
streiten den Verdacht der öffentlichen Meinung, daß wirklich der
Monarch diese oder jene besondere Vorliebe habe, zu verstärken.
Schon seit Jahren hatte in dieser Weise die deutschfreisinnige Partei
den Kronprinzen, späteren Kaiser Friedrich, für sich ins Feld zu
führen gesucht, und ähnliches schien sich Ende 1887 auf der ent-
gegengesetzten Seite mit dem Prinzen Wilhelm, Kaiser Wilhelm II.,
anzubahnen. (Vgl. vor. Jahrg.; Anfang Januar und 31. Januar
1888.) Die starke Betonung des religiösen Momentes in den ersten
Kundgebungen des jungen Kaisers wurde hier und da in demselben
Sinne ausgelegt und ein gehässiger Ausfall des „Pesther Lloyd“
(Oesterr. Juni S. 257) gab den Besorgnissen der Gegner einen viel
bemerkten Ausdruck. Eine Reihe von unzweideutigen Kundgebungen
zerstreuten jedoch bald alle Besorgnisse, welche auch in den Kreisen,
die sich als die Träger der deutschen Bildung fühlten, aufzutauchen
begannen. Seit langem wurde über die Berufung des liberalen
Professors der Kirchengeschichte, Adolf Harnack, von Marburg nach
Berlin verhandelt. Die Fakultät hatte ihn mit allen gegen eine
(übrigens ebenfalls liberale) Stimme vorgeschlagen, der Oberkirchen-
rat ihn mit einer Stimme Moajorität verworfen. Es war die Frage,