Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

58 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 9.—11.) 
Tod aus dieser Zeitlichkeit heim zu rufen. Sie werden von mir in diesem 
tiefernsten Augenblick, in welchem unsere Herzen von Trauer und Sorge 
zugleich so schmerzlich berührt sind, eine Schilderung der Gefühle nicht er- 
warten, die uns alle, die das gesamte Volk und Vaterland bei dem Hin- 
tritte, bei dem Verluste dieses allgeliebten, ehrhabenen, ehrwürdigen Herr- 
schers erfüllen. Das aber darf ich getrost und voller Zuversicht auch an 
diesem Tage schmerzlichster Prüfung aussprechen: Das preußische Volk und 
seine Vertretung werden heute mehr als je von dem Bewußtsein durchdrungen 
sein, daß das Leid unseres erhabenen Herrscherhauses auch ihr Leid ist, und 
daß — je tiefer der allgemeine Schmerz über den Hintritt des unvergeßlichen 
Königs ist — um so fester und unzerreißbarer das Band sich erweisen wird, 
welches Preußens Herrscherhaus und Preußens Volk in guten und bösen 
Tagen verbindet. Meine Herren! Ich habe Ihrer Weisheit anheimzustellen, 
denjenigen Beschluß zu fassen, welcher dem Ernste der Lage entspricht. (Tiefes, 
ernstes Schweigen.) 
Präsident von Köller: 
Meine Herren! Erschüttert und tief gebeugt, werden wir heute nicht 
im stande sein, unsere gewöhnlichen Geschäfte zu erledigen. Ich werde mir 
erlauben, je nach den Umständen die nächste Sitzung anzuberaumen. Gott 
schütze das Königliche Haus, Gott schütze das Vaterland! Ich schließe die 
Sitzung . 
Am Tage vor dem Ableben des Kaisers veröffentlichte der 
„Reichsanzeiger“ nachstehenden kaiserlichen Erlaß. 
In Betracht der Wechselfälle Meiner Gesundheit, welche Mich vorüber- 
gehend zur Enthaltung von Geschäften nötigen, und in Betracht der Krank- 
heiten und verlängerten Abwesenheit Meines Sohnes, des Kronprinzen Kaiser- 
liche und Königliche Hoheit, beauftrage Ich Ew. Königliche Hoheit in allen 
Fällen, wo Ich einer Vertretung in den laufenden Regierungsgeschäften und 
namentlich in der Unterzeichnung von Ordres zu bedürfen glauben werde, 
mit dieser Vertretung, ohne daß es für die einzelnen Fälle einer jedesmaligen 
besonderen Ordre bedarf. 
Abschrift dieser Ordre habe Ich dem Staatsministerium, dem Militär- 
kabinet, dem Zivilkabinet und dem Ministerium Meines Hauses mitgeteilt. 
Berlin, den 17. November 1887. Wilhelm. 
von Bismarck. 
An des Prinzen Wilhelm Königliche Hoheit. 
9.—11. März. (Kaiser Friedrich.) Der Reichskanzler 
erhält aus San Remo auf die Mitteilung vom Ableben des Kaisers 
Wilhelm nachstehendes Telegramm: 
In dem Augenblick tiefster Trauer um den Heimgang Se. Majestät 
des Kaisers und Königs, Meines geliebten Herrn Vaters, spreche Ich Ihnen 
wie dem Staats-Ministerium Meinen Dank für die Hingebung und Treue 
aus, mit welcher Sie Alle Demselben dienten, und rechne auf Ihrer Aller 
Beistand bei der schweren Aufgabe, die Mir wird.  
Ich reise am 10. morgens nach Berlin. Friedrich. 
Gleichzeitig ergeht an das Staatsministerium folgender Erlaß 
über die Landestrauer: 
Hinsichtlich der bisher üblich gewesenen Landestrauer wollen Wir 
keine Bestimmung treffen, vielmehr einem jeden Deutschen überlassen, wie er 
angesichts des Heimgangs eines solchen Monarchen seiner Betrübnis Ausdruck 
  
 
	        
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