Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 10.—12.) 59
geben, auch die Dauer der Einschränkung öffentlicher Unterhaltungen für
sachgemäß erachten will. Friedrich.
Über das Befinden des Kaisers veröffentlicht am folgenden
Tage der „Reichs= und Staatsanzeiger“ dieses ärztliche Bulletin:
San Remo, 10. März, 9 Uhr 50 Minuten vormittags.
Se. Majestät der Kaiser waren durch die Trauerkunde auf das Tiefste
erschüttert, doch blieb das Allgemeinbefinden gut. Während des ganzen Tages
bis zum späten Abend haben Se. Majestät angestrengt gearbeitet; der Schlaf
war gut und erquickend.
Mackenzie. Schrader. Hovell. Bramann.
Der Kaiser reist mit der Kaiserin und den 3 Prinzessinnen
am 10. früh von San Remo ab, wird auf dem Bahnhofe von San
Pier d'Arena bei Genua vom Könige Humbert von Italien
und dem Ministerpräsidenten Crispi erwartet und trifft am
11. nachmittags in Leipzig ein, wohin der Reichskanzler und sämt-
liche Minister ihm entgegengefahren sind. Die Begegnung mit dem
Kanzler, den der Kaiser wiederholt umarmt und küßt, ist eine überaus
herzliche. Am späten Abend erreicht der kaiserliche Zug Charlottenburg,
woselbst der Kronprinz und Prinz Heinrich die Eltern empfangen.
Der Kaiser nimmt seine Residenz im Charlottenburger Schlosse.
Fast gleichzeitig mit seinem Eintreffen daselbst findet in Berlin
die Überführung der Leiche Kaiser Wilhelms zur öffentlichen Auf-
bahrung nach dem Dom statt.
10. März. (Trauer um den Kaiser.) An die aus der
ganzen zivilisierten Welt immer zahlreicher eintreffenden Trauer-
kundgebungen knüpft die „Nordd. Allg. Ztg.“ nachstehende Aus-
lassung:
„Vor der Leiche des kaiserlichen Heldengreises entblößen sich aller
Häupter, legen selbst die politischen Feinde der nationalen Wiedergeburt
Deutschlands ihren Antipathien Schweigen auf als Anerkenntnis der schlichten
Seelengröße, der unantastbaren Charakter-Einheit, der herzgewinnenden Per-
sönlichkeit und all der hohen Tugenden, die den Entschlafenen zu seinen Leb-
zeiten schmückten. Wie ein roter Faden aber zieht sich durch die Sympathie-
beweise des Auslandes die Würdigung des verewigten Herrschers als des
kraftvollen, ehrlichen und ausdauernden Schirmherrn der internationalen
Friedenssache, verbunden mit der zuversichtlichen Hoffnung, daß auch unter
dem Zepter des Nachfolgers auf dem Throne die deutsche Staatskunst aus
den Bahnen nicht heraustreten werde, welche Kaiser Wilhelm ihr vorgezeichnet
und vor allen Störungen so erfolgreich zu wahren verstanden hat.“
12. März. (Proklamation und Erlaß Kaiser Friedrichs
an den Reichskanzler.) Der „Reichsanzeiger“ veröffentlicht gleich-
zeitig nachfolgende Aktenstücke:
„An mein Volk!
Aus seinem glorreichen Leben schied der Kaiser. In dem vielgeliebten
Vater, den Ich beweine und um den mit Mir Mein Königliches Haus in