60 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 12.)
tiefstem Schmerze trauert, verlor Preußens treues Volk seinen ruhmgekrönten
König, die deutsche Nation den Gründer ihrer Einigung, das wiedererstandene
Reich den ersten deutschen Kaiser! Unzertrennlich wird sein hehrer Name
verbunden bleiben mit aller Größe des deutschen Vaterlandes, in dessen Neu-
begründung die ausdauernde Arbeit von Preußens Volk und Fürsten ihren
schönsten Lohn gefunden hat. Indem König Wilhelm mit nie ermüdender
landesväterlicher Fürsorge das preußische Heer auf die Höhe seines ernsten
Berufes erhob, legte er den sicheren Grund zu den unter seiner Führung
errungenen Siegen der deutschen Waffen, aus denen die nationale Einigung
hervorging; er sicherte dadurch dem Reiche eine Machtstellung, wie sie bis
dahin jedes deutsche Herz ersehnt, aber kaum zu erhoffen gewagt hatte.
Und was er in heißem, opfervollem Kampfe seinem Volke errungen,
das war ihm beschieden, durch lange Friedensarbeit mühevoller Regierungs-
jahre zu befestigen und segensreich zu fördern. Sicher in seiner eigenen Kraft
ruhend, steht Deutschlaud geachtet im Rate der Völker und begehrt nur, des
Gewonnenen in friedlicher Entwicklung froh zu werden. Daß dem so ist,
verdanken wir Kaiser Wilhelm, seiner nie wankenden Pflichttreue, seiner un-
ablässigen, nur dem Wohle des Vaterlandes gewidmeten Tätigkeit, gestützt
auf die von dem preußischen Volke unwandelbar bewiesene und von allen
deutschen Stämmen geteilte opferfreudige Hingebung. Auf Mich sind nun-
mehr alle Rechte und Pflichten übergegangen, die mit der Krone Meines
Hauses verbunden sind und welche Ich in der Zeit, die nach Gottes Willen
Meiner Regierung beschieden sein mag, getreulich wahrzunehmen entschlossen bin.
Durchdrungen von der Größe Meiner Aufgabe, wird es Mein ganzes
Bestreben sein, das Werk in dem Sinne fortzuführen, in dem es begründet
wurde, Deutschland zu einem Horte des Friedens zu machen und in Über-
einstimmung mit den verbündeten Regierungen sowie mit den verfassungs-
mäßigen Organen des Reiches wie Preußens die Wohlfahrt des deutschen
Landes zu pflegen.
Meinem getreuen Volke, das durch eine Jahrhunderte lange Geschichte
in guten wie schweren Tagen zu Meinem Hause gestanden, bringe Ich Mein
rückhaltloses Vertrauen entgegen, denn Ich bin überzeugt, daß auf dem Grunde
der untrennbaren Verbindung von Fürst und Volk, welche, unabhängig von
jeglicher Veränderung im Staatenleben, das unvergängliche Erbe des Hohen-
zollernstammes bildet, Meine Krone allezeit ebenso sicher ruht, wie das Ge-
deihen des Landes, zu dessen Regierung Ich nunmehr berufen bin, und dem
Ich gelobe, ein gerechter und in Freud' wie Leid ein treuer König zu sein.
Gott wolle Mir seinen Segen und Kraft zu diesem Werke geben, dem
fortan mein Leben geweiht ist.
Berlin, den 12. März 1888. Friedrich III.
Mein lieber Fürst!
Bei dem Antritt Meiner Regierung ist es Mir ein Bedürfnis, Mich
an Sie, den langjährigen vielbewährten ersten Diener Meines in Gott ruhen-
den Herrn Vaters, zu wenden. Sie sind der treue und mutvolle Ratgeber
gewesen, der den Zielen seiner Politik die Form gegeben und deren erfolg-
reiche Durchführung gesichert hat. Ihnen bin Ich und bleibt Mein Haus
zu warmem Dank verpflichtet. Sie haben daher ein Recht, vor allem zu
wissen, welches die Gesichtspunkte sind, die für die Haltung Meiner Regie-
rung maßgebend sein sollen.
Die Verfassungs= und Rechtsordnungen des Reiches und Preußens
müssen vor allem in der Ehrfurcht und in den Sitten der Nation sich be-
festigen. Es sind daher die Erschütterungen möglichst zu vermeiden, welche
häufiger Wechsel der Staatseinrichtungen und Gesetze veranlaßt. Die För-