Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

48 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder März. 29.) 
trumsfraktion in dieser Sache verschiedene Ansichten haben? War nicht bei 
dem Sozialistengesetz ein ganz ähnlicher Fall!' Hat man nicht damals auch 
gesagt: es ist aus mit der Zentrumsfraktion --? Und hat nicht, nachdem 
dieser Dissens sich geltend gemacht hat, alle die Jahre die Fraktion sich ge- 
schlossen genug gezeigt, um die Schlachten zu schlagen, die geschlagen worden 
sind Meine Herren, ganz genau so wie damals wird es auch heute sein. 
Wir sind eben in unserer Fraktion gewöhnt — und nach unserem Statut 
ist das der Zweck derselben —, daß wir zusammenkommen, um uns zu be- 
raten, über die verschiedenen Ansichten uns auszusprechen und einen Aus- 
gleich zu versuchen; wird der Ausgleich nicht erreicht, dann stimmt jeder 
nach seiner Ueberzeugung; ein Fraktionszwang ist nicht vorhanden, und alles 
ist in der schönsten Ordnung. (Heiterkeit.) 
Natürlich wäre es sehr viel angenehmer, in dieser hochwichtigen Sache 
uns alle vereint in derselben Ansicht zu sehen; und ich bin der letzte, der 
nicht diesen sehr lebhaften Wunsch hat oder hätte, da ich leider in der Lage 
bin, mit meinem besten Freunde, dem Herrn Freiherrn von Franckenstein, 
in dieser Sache nicht einverstanden zu sein. Das hindert aber ganz ent- 
schieden das übrige Zusammenwirken nicht. Herr von Hertling hat im 
wesentlichen die Gesichtspunkte geltend gemacht, von denen ich bei dieser 
Sache ausgehen muß; die von ihm vorgetragenen Gründe sind entscheidend 
für mich; wer aber kann denn sagen, daß die Gründe, welche Herr v. Fran- 
ckenstein für seine Ansichten geltend gemacht hat, nicht schwerwiegend genug 
sind? Meinen Sie denn, daß es so leicht sei, zwischen den beiden Herren, 
die hier einmal als Gegner gegen einander gestellt sind, zu entscheiden? Das 
ist nicht zu verkennen, daß diese Frage, einmal gestellt, in der Gesetzgebung 
ihre Lösung zu finden hat, daß diese Lösung in irgend welcher Art und in 
einer möglichst kurzen Zeit reif werden muß. Es ist ist nur die Frage, ob 
die jetzige Vorlage so, wie sie ist, die Lösung richtig bringt. In der Zen- 
trumsfraktion ist darüber Einstimmigkeit, daß wir die Frage lösen müssen 
und lösen wollen; es ist nur darüber Meinungsverschiedenheit, ob die Basen 
dieses Gesetzes dazu ausreichen werden. 
Wenn Herr von Franckenstein gesagt hat, daß die Arbeiter warten 
auf die Wohlthaten des Gesetzes, so wird ihm das kein Mensch leugnen 
können. Ich habe aber die Ansicht, daß, wenn sie das allerdings erwarten. 
wir doch da die Verantwortlichkeit tragen und Ursache haben, nach allen 
Seiten hin zu sehen und mit aller Vorsicht vorzugehen. Denn darüber kann 
kein Zweifel sein: ein ernsterer, bedeutungsvollerer Schritt als dieser ist auf 
diesem Gebiete niemals gemacht worden. (Sehr richtig!) Und das ist um 
so ernster zu nehmen, als der Schritt nicht zurück gethan werden kann. 
(Sehr richtig!l) Wenn wir in dieser Sache fehlgehen, so weiß ich keine 
Remedur; wenn wir 12 Millionen Menschen einmal hingestellt haben als 
pensionsberechtigt, wenn sie selbst dazu beitragen, sich die Pension zu ver- 
dienen, und wir sehen dann, daß die Sache doch so nicht geht, wie wir sie 
gedacht und sozusagen aufgezogen haben, dann meine Herren, weiß ich in 
der That nicht, wie die Dinge zu redressieren sind. (Sehr richtig!) Darum 
soll man ernst und vorsichtig sein; und ich bin der Meinung, daß es ein 
außerordentliches Beginnen ist, eine Frage wie diese nach der ersten bedeu- 
tungsvollen umfangreichen Vorlage, nach einer Beratung in der Kommission, 
ehe noch in der Oeffentlichkeit vor dem ganzen Volke die Verhandlungen 
stattgefunden haben, zu einem Abschluß bringen zu wollen. (Sehr wahrl!) 
Meine Herren, wir haben eine Vorlage bekommen; wer kann leugnen, 
daß sie mit ungeheurem Fleiße von der Regierung gearbeitet ist? Wir haben 
sie in die Kommission gewiesen, und es ist wohl unter uns niemand, der 
nicht anerkennt, daß die Kommission mit einer Ausdauer und mit einer
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.