Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

94 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 1.—2.) 
Steuereinschätzungskommission. Es wird aber von einer großen 
Anzahl der verschiedensten Einwohner nachgewiesen, daß sie nur 
zur Hälfte oder einem Drittel und noch weniger ihres baren Ein- 
kommens eingeschätzt gewesen sind. Unter andern Geheimrat Baare 
bei einem Einkommen von 110,000 M zu 32,000 M 
1. Juni. (München.) Der Reichstagsabgeordnete v. Voll- 
mar spricht sich in einer sozialdemokratischen Versammlung über 
die Stellung der Sozialdemokratie zur auswärtigen Politik des 
Reichs aus. 
Vollmar lobte den Dreibund, weil er zur Erhaltung des Friedens 
beitrage. Der Gedanke der internationalen Brüderlichkeit hebe nicht die 
nationalen Aufgaben auf. Die berühmten „Vereinigten Staaten von Europa" 
seien zwar ein ganz nettes Zukunftsbild, das aber kein einziger von den An- 
wesenden erleben werde. Gegenüber einzelnen Preßstimmen sei eine Kritik der 
öffentlichen Angelegenheiten Frankreichs seitens der Partei notwendig geworden. 
Wem sei nicht das ekelhafte Treiben des offiziellen Frankreich gegenüber Ruß- 
land aufgefallen? Ein derartiges Gebahren, das viel zu den Rüstungen in 
Deutschland beitrage, sei unklug, denn wenn Rußland unterliege, müsse Frank- 
reich die Prügel einstecken und die Kosten dafür zahlen. Auch täusche man 
sich in Frankreich bezüglich der deutschen sozialistischen Partei. Sobald das 
Baterland angegriffen werde, gebe es nur mehr eine Partei und die Sozial- 
demokraten würden nicht die letzten sein, namentlich wenn es einem Feind 
gelte, der gegen alle Kultur ist, nämlich Rußland. 
Uebrigens betonte Herr v. Vollmar auch, gegenwärtig sei die Mög- 
lichkeit vorhanden, daß die Sozialdemokratie auf Grund der legalen Ver- 
hältnisse Einfluß gewinne. Die Partei müsse allerdings vollkommen gerüstet 
bleiben, um den Interessen der Arbeiter zu entsprechen. Aber sie müsse ehr- 
lich das halten, was sie vor Aufhebung des Sozialistengesetzes versprochen 
habe, nämlich, wenn dies geschehe, auf Grundlage des gemeinen Rechtes mit 
den gegnerischen Parteien und der Regierung zu unterhandeln. 
2. Juni. (Abgeordnetenhaus.) Zweite Lesung über das 
Sperrgeldergesetz. 
Abg. v. Eynern gibt namens der nationalliberalen Partei die Er- 
klärung ab, daß dieselbe der Vorlage nicht zustimmen könne. Das Zentrum 
betrachte die Vorlage lediglich als Abschlagszahlung, der evangelischen Kirche 
gegenüber aber erschiene dieselbe als eine Belohnung für den Widerstand 
gegen die Kirchengesetze, als ein Sieg, dem auf der evangelischen Seite die 
Niederlage gegenüberstehe. Deshalb könnten seine Freunde der Vorlage nicht 
zustimmen. 
Aehnlich Abg. Frhr. v. Zedlitz für den größeren Teil der freikonser- 
vativen Partei. 
Darauf wird das Gesetz mit großer Majorität angenommen. 
(Dritte Lesung 4. Juni.) 
Die gegen die Vorlage (vgl. 24. Januar) abgeänderten 88 
lauten (Ges. v. 24. Juni): 
Artikel 2. 
Aus den im Artikel 1 aufgeführten Summen sind mit Ausschluß von 
Zinsen in den einzelnen Diözesen bezw. Diözesananteilen Beträge zu be-
	        
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