Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 14.—21.) 121
Sinne des Parteiprogramms wirken und, ohne auf die Erlangung von Kon—
zessionen seitens der herrschenden Klassen zu verzichten, immer das ganze und
letzte Ziel der Partei im Auge haben. Der Parteitag verlangt ferner von
jedem einzelnen Genossen, daß er den Beschlüssen der Gesamtpartei und den
Anordnungen der Parteiorgane, so lange diese innerhalb der ihnen zuge-
wiesenen Befugnisse handeln, volle Beachtung schenkt und in der Erkenntnis,
daß eine Kampfpartei wie die sozialdemokratische nur in strengster Disziplin
und Unterwerfung unter den Willen der Gesamtpartei ihr Ziel erreichen
kann, diese Disziplin und diese Unterwerfung übt. Der Parteitag erklärt
ausdrücklich, daß die Kritik an den Handlungen oder Unterlassungen der
Parteiorgane und der parlamentarischen Vertreter der Partei ein einem jeden
Parteigenossen zustehendes selbstverständliches Recht ist, er verlangt aber,
daß diese Kritik in Formen geübt werde, die eine sachliche Auseinander-
setzung dem angegriffenen Teil ermöglichen. Endlich ist der Parteitag der
Anschauung, daß der in den Statuten der internationalen Arbeiterassoziation
von 1864 ausgesprochene Grundsatz: „Daß Wahrheit, Recht und Sitte als
die Grundlage für das Betragen aller ihrer Mitglieder untereinander und
gegen alle ihre Mitmenschen ohne Rücksicht auf Farbe, Bekenntnis oder Na-
tionalität sei", auch heute noch die Richtschnur für die Handlungen der
Parteigenossen sein muß.“
Vollmar erklärt, er glaube nicht an das tausendjährige Reich,
wohl aber an den zehnstündigen Normalarbeitstag.
Ich habe mich gefreut, daß Bebel ausdrücklich betont hat, es muß
unser Bestreben sein, die Massen zu gewinnen; diese gewinnen wir aber
nicht, wenn wir ihnen bloß unsere Endziele verfprechen, wir müssen ihnen
zeigen, daß wir bestrebt sind, ihnen ihre augenblickliche Lage zu verbessern.
Bebel sagt: wir stellen Anträge im Reichstage, hauptsächlich im propagan-
distischen Interesse, unbekümmert darum, ob sie angenommen werden. Dem
kann ich durchaus nicht beistimmen. Ich bin der Meinung, es kann durch-
aus nicht gleichgiltig sein, ob unsere Anträge angenommen oder abgelehnt
werden. Wenn wir die Einführung des Normalarbeitstages im Reichstage
beantragen, dann muß es uns doch darum zu thun sein, unseren Antrag
durchzubringen. Ich habe nun in meiner Münchener Rede gesagt: Wir
müssen langsam vorwärts gehen, ohne das Ziel aus dem Auge zu verlieren,
bemüht sein, den dornenvollen Weg, den wir bis zu diesem Ziele zurückzu-
legen haben, möglichst gut einzurichten. Bebel sagte: wenn er die Wahl
zwischen dem Stürmen und dem langsamen Vorwärtsgehen habe, dann wähle
er das erstere. Nun, ich muß dem Genossen Bebel sagen: bei den heutigen
militärischen Verhältnissen könnten wir uns bei dem Stürmen leicht die
Köpfe einrennen. Ich bin der Meinung, eine Partei, die bei den letzten
Wahlen 1 ½ Millionen Stimmen hatte, die sich bei den nächsten Wahlen
verdoppeln fürften hat die Verpflichtung, auf ruhigem, gesetzlichem und
parlamentarischem Wege vorzugehen. Ich bin der Meinung: je mehr wir
auf dem Boden der heutigen Gesellschaftsordnung erreichen, desto schneller
gelangen wir zu unseren Endzielen. Ich habe vor Uebereilung gewarnt und
ein langsames Vorgehen empfohlen, weil ich nicht will, daß wir bei einem
zu schnellen Vorgehen einen Rückschlag erleiden, der unsere Bewegung auf
lange Zeit hinaus zurückwerfen würde. Der nächste Krieg, der nicht mehr
fern ist, sagt Bebel, wird zu einem allgemeinen Bankerott der bürgerlichen
Gesellschaft führen, dann kommt der große Kladderadatsch, und wir werden
im stande sein, die bürgerliche Gesellschaft abzulösen und unsere Endziele zu
verwirklichen. Ich komme dabei auf die auswärtige Politik. Man hat mich
ja einen patriotischen Mann genannt. Allein auch Bebel wird jetzt in aus-