122 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 14.—21.)
ländischen Zeitungen als Patriot bezeichnet, der, wenn es zum Kriege kommen
sollte, als erster Fahnenträger der Regierung gegen den auswärtigen Feind
kämpfen würde. (Werner: Sehr richtig!) Ich will gleich von vornherein
erklären, daß ich den Standpunkt Bebels in der auswärtigen Politik teile.
(Ahal der Opposition.) Auch ich bedauere, daß durch den Dreibund die
Kriegsgefahr im Wachsen begriffen ist. Allein, ich bin der Meinung, daß
wir alles aufzubieten haben, was geeignet ist, einen Krieg zu verhindern.
Ich will die Schrecknisse nicht ausmalen, die ein Sieg Rußlands über
Deutschland bringen könnte, und ich bin überzeugt, wenn das deutsche Vater-
land von einem auswärtigen Feind angegriffen würde, dann wären die
deutschen Sozialdemokraten nicht die letzten, die alles aufbieten würden, um
den Feind zu schlagen. Wir können nur mit natürlichen Verhältnissen
rechnen. Ich muß bemerken: eine solche Prophezeiung, wie sie von Bebel
aufgestellt worden, ist geradezu gefährlich. Die Massen werden selbstver-
ständlich sagen: wenn der Tag so nahe ist, wo wir unsere Endziele erreichen
werden, wozu wollen wir noch uns mit der kleinlichen Agitation wie die
Erreichung des Achtstundentages befassen. Eigentümlich ist es, daß man nur
mit Siegen rechnet und gar nicht eine Niederlage ins Auge faßt. Und was
ein Sieg Rußlands über Deutschland für die Arbeiter bedeuten würde, diese
Schrecknisse will ich gar nicht ausmalen. Die Berliner Volkstribüne, die
mich des Chauvinismus bezichtigt, schreibt: Es kann uns gar nichts ange-
nehmer sein als ein Krieg, wir können dabei nur gewinnen, und deshalb
wünschen wir, daß der Krieg so schnell als möglich kommt. Ja, wenn man
auf diesem Standpunkt steht, dann ist es auch notwendig, der Regierung die
Mittel zur Kriegführung zu bewilligen, denn mit Pappenstielen können doch
die Russen nicht geschlagen werden. (Heiterkeit.) Ich bin der Meinung, daß
ein Krieg für die Arbeiterbewegung von den unheilvollsten Folgen wäre,
und kann mich der Ansicht keineswegs anschließen, daß der nächste Krieg der
letzte sein würde. Deshalb haben wir alles aufzubieten, was geeignet ist,
den Krieg zu vermeiden oder soweit als möglich hinauszuschieben. Man
scheint ganz vergessen zu haben, daß der Brüsseler Kongreß dieselbe Ansicht
ausgesprochen hat. Eine voreilige Verwirklichung unserer Ziele ohne festen
Untergrund wäre aufs höchste zu beklagen. Es wäre dies nichts weiter als
eine Wiedergeburt der Pariser Kommune mit allen ihren Verkehrtheiten und
Rückschlägen.
Oertel beantragt, der Parteitag möge erklären, daß er den
Standpunkt Vollmars nicht teile. Vollmar erklärte es für selbst-
verständlich, daß er der Bebelschen Resolution zustimme; der An-
trag Oertel habe eine persönliche Spitze gegen ihn: sollte er ange-
nommen werden, dann habe er den Boden in der Partei verloren
und zum letztenmale auf einem sozialdemokratischen Parteitage ge-
sprochen. — Nach einer Rede Bebels wird dann ein Antrag ein-
gebracht, dahin gehend: „nachdem sich „Genosse“ Vollmar ohne jede
Einschränkung für die vom Genossen Bebel und anderen Rednern
entwickelten Ansichten bezüglich der Beibehaltung der bisherigen
Parteitaktik ausgesprochen habe, erkläre der Parteitag den Antrag
HOertel für erledigt und gehe über denselben zur Tagesordnung
über.“ Dieser Antrag und die von Bebel beantragte Resolution
werden einstimmig angenommen.