Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 23.—24.) 141 
1) dem Reichstage noch im Laufe der gegenwärtigen Session eine Ge- 
setzesvorlage zu machen, in welcher dem Mißbrauch des Zeitgeschäftes als 
Spielgeschäft sowohl an der Börse wie anderwärts, namentlich in den für 
die Volksernährung wichtigen Artikeln durch eingreifende Bestimmungen auf 
dem Gebiete des Strafrechts und des bürgerlichen Rechts entgegengetreten wird; 
2) dahin zu wirken, daß die Börsen und der Geschäftsverkehr an den- 
selben einer wirksamen staatlichen Aufsicht unterstellt und dadurch ihren 
wahren Aufgaben für Handel und Verkehr erhalten werden. 
23. November. Reichstagsersatzwahl im 11. württem- 
bergischen Wahlbezirk (Hall-Oehringen-Weinsberg). Von den 
23,191 Wahlberechtigten sind 9481 giltige Stimmen abgegeben. 
Gewählt mit 7771 Stimmen der Landwirt Friedrich Hartmann 
(Demokrat). Die „Deutsche Partei“, die den Wahlkreis bisher inne- 
gehabt, hat sich mangels eines Kandidaten der Abstimmung ent- 
halten. 
23. November. Der russische Minister des Auswärtigen, Herr 
v. Giers, weilt, von Paris kommend, zwei Tage in Berlin und 
wird vom Kaiser und vom Reichskanzler empfangen. 
23. November. Nach einer späteren Mitteilung der Neisser 
Zeitung hält der Kaiser bei der Vereidigung der Rekruten 
in Potsdam folgende Ansprache: 
„Rekruten! Ihr habt jetzt vor den geweihten Dienern Gottes und 
angesichts dieses Altars Mir Treue geschworen. Ihr seid noch zu jung, um 
die wahre Bedeutung des eben Gesprochenen zu verstehen, aber befleißiget 
Euch zunächst, daß Ihr die gegebenen Vorschriften und Lehren immer befolgt. 
Ihr habt Mir Treue geschworen, das — Kinder Meiner Garde — heißt, 
Ihr seid jetzt Meine Soldaten, Ihr habt Euch Mir mit Leib und Seele 
ergeben; es gibt für Euch nur einen Feind, und der ist Mein Feind. Bei 
den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, daß Ich Euch be- 
fehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen — was 
ja Gott verhüten möge -- aber auch dann müßt Ihr Meine Befehle ohne 
Murren befolgen“. 
Das „Volk“ berichtet nach der Aussage eines Ohrenzeugen den Wort- 
laut wie folgt: „Ihr habt Mir den Treueid geleistet, das heißt, Euch gilt 
von nun an nur ein Befehl und das ist Mein Allerhöchster Befehl, Ihr 
habt nur einen Feind, der ist Mein Feind! Und müßte Ich Euch vielleicht 
einst — Gott wolle es verhüten — dazu berufen, auf Eure eigenen Ver- 
wandten, ja Geschwister und Eltern zu schießen, so denkt an Euren Eid!"“ 
Diese Worte, schreibt das „Volk“, sprach der Kaiser mit erhöhter Stimme und 
das „suprema lex regis voluntas“ flammte in seinen Augen. Zum Schluß 
habe der Kaiser noch gesagt: „Vor allem eins: vergeßt nicht Euer Vaterunser, 
das Ihr als Kinder gelernt habt; es hilft aus vieler Not, ich weiß es!“ 
Nach einer dritten Version ist nur von „Verwandten und Brüdern“ 
gesprochen. 
24. November. Bei der Vereidigung der Rekruten in 
Berlin hält der Kaiser nach den Zeitungen folgende Ansprache: 
„Ihr, die ihr Mir soeben den Eid der Treue geschworen habt, werdet 
in der ersten Zeit oft schweren Dienst haben, aber ihr werdet auch Momente 
 
	        
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