Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 24.) 9 
gegen mich ich mich verteidigen mußte in Bezug auf Sakrileg, Verletzung 
des siebenten Gebots und so fort. 
Ich halte also nach wie vor daran fest, — ich bin auch sicher, daß 
diese Ansicht meine Kollegen teilen —, daß es unmöglich ist für den preu- 
Whischen Staat anzuerkennen, daß es betreffs der Verwendung des Sperrfonds 
dem preußischen Staat gegenüber Empfangsberechtigte gibt. Sie mögen es 
konstruieren, wie Sie wollen, das erkenne ich nach wie vor nicht an. 
Zweitens halte ich fest an meiner zweiten Behauptung, daß selbst, 
wenn man sich über die rechtlichen Bedenken hinwegsetzen könnte, es für den 
Staat faktisch unmöglich wäre, wenn er den Versuch unternehmen wollte, 
diese irgend wie zu konstruierenden Berechtigten zu befriedigen, dazu ist der 
Staat absolut nicht im stande. Ich will damit verbinden das dritte Mo- 
ment, das Moment des Politischen. Vorab halte ich für politisch falsch, 
zu unternehmen, was rechtlich unmöglich ist — das führe ich nicht weiter 
aus —;z aber ich halte auch vom Nützlichkeitsstandpunkt es für eine verfehlte 
Politik, wenn — wie im vorigen Jahre angeregt wurde — der preußische 
Staat den Versuch machen wollte, seinerseits eine irgendwie geartete Klasse 
von Menschen mit diesen Mitteln zu befriedigen. Denn es ist klar, daß es 
dem preußischen Staat nicht gelingen würde, in seinem ganzen Gebiet oder 
in einzelnen Diözesen mit noch so vermehrten Mitteln alle Ansprüche zu 
decken, die erhoben werden, — das liegt auf der flachen Hand. Ich habe 
es im vorigen Jahre nicht ausgesprochen, ich kann es aber jetzt: wenn man 
sich auf diesen fehlerhaften Weg drängen ließe, dann hätten wir auf Jahr- 
zehnte hinaus einen so schönen Kulturkampf im Hause wie denkbar. Denn 
jeder Anspruch, der nicht befriedigt wäre, würde Gegenstand der Petition 
werden oder bei der Etatsberatung vorkommen; dann hätten wir Jahre 
lang nichts anderes zu thun, als über die Schändlichkeit des preußischen 
Staats und seiner perversen Regierung Deklamationen zu hören. Also ich 
kann sagen, dazu habe ich nie die Hand geboten, würde das auch heute 
nicht thun und würde sie auch nie dazu bieten. Ich stehe genau auf dem 
Standpunkt, den ich im vorigen Jahre in der Sitzung vom 29. April, wie 
jetzt hier, auf Seite 107, ausgesprochen habe. 
Nun kommt der Herr Vorredner und sagt: was jetzt die Regierung 
will, ist ganz dasselbe, wie das, was der Herr Abg. Windthorst vorschlug; 
der Abg. Windthorst schlug vor — das ist ja in der letzten Sitzung zur 
Verhandlung gekommen —: das hohe Haus möge beschließen, daß die Staats- 
regierung aufgefordert werde, mit den Bischöfen in Verhandlungen zu treten. 
Das wurde glücklicherweise abgelehnt. Meine Herren, wenn die preußische 
Staatsregierung auf Beschluß dieses hohen Hauses mit einer anderen Potenz 
Verhandlungen führen soll, so find wir von vornherein so schwer vinkuliert, 
daß wir sicherlich auf diesem Gebiet keine Erfolge erreichen dürften; und 
wenn wir auch das erreicht hätten, was jetzt die Bischöfe freiwillig angeboten 
haben, so hätten wir ihnen noch dafür Dank sagen mögen. Die Sache lag 
ungefähr so — ich kann das ja nur ausführen, was der Herr Minister- 
Präsident in großen Zügen umrissen hat —: als der 7. Juni vorüber war, 
vermied die Regierung, zu der Frage Stellung zu nehmen, aus den Er- 
wägungen, die ich am Schluß der letzten Sitzung angedeutet habe. Es war 
eine tiefe Verstimmung bei der Staatsregierung vorhanden; wir ließen die 
Sache auf sich beruhen, und alle die zahlreichen Gesuche, welche an die 
Staatsregierung gebracht wurden, sie solle ihrerseits die Initiative ergreifen, 
wurden abgelehnt. So verging Monat auf Monat, bis plötzlich der Herr 
Minister-Präsident mitteilte, daß die Herren Bischöfe mit Anträgen gekommen 
seien unter dem Anerbieten von Handlungen, die sie ihrerseits zu übernehmen 
gewillt wären, und wie Sie sie im Gesetz ausgesprochen finden. Dadurch 
  
 
	        
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