Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

168 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.) 
Diese kleinen Grundbesitzer haben entweder teuer gekauft — es ist ja 
bekannt, wie nach dem Krimkriege die Güter in die Höhe gingen, es folgten 
dann eine Zeit lang günstige Jahre, es stiegen die Güter im Preise — man 
hat hoch gekauft und gepachtet, man hat Schulden aufgenommen auf das 
Gut, und durch diese Schulden würde eine landwirtschaftliche Krisis weit 
über den Rahmen der nominellen Gutsbesitzer hinaus wirken; alle diese 
Gläubiger würden in Mitleidenschaft gezogen werden, und ich glaube, daß 
ich mich keiner Uebertreibung schuldig mache, wenn ich sage: eine landwirt- 
schaftliche Krifsis wäre eine Kalamität ersten Ranges für den Staat im 
ganzen gewesen. (Sehr richtig! rechts.) 
Ich schlage — und ich glaube, das kann kein Staatsmann, auch in 
keinem Staate — den Wert der Landwirtschaft nicht gering an. Ich habe 
mich schon öfter darüber ausgesprochen, daß es notwendig ist, die staats- 
erhaltenden Kräfte zu stärken und zu vermehren, und ohne irgend einem 
Stande zu nahe treten zu wollen, bin ich der Meinung, es liegt in den 
Bedingungen des Daseins der Landwirtschaft ein starkes Moment, das unter 
allen Umständen den Landwirt — mag er einer politischen Partei angehören, 
welcher er will — zu einem staatserhaltenden Menschen macht. Vollends, 
wenn der Grund und Boden durch Generationen in denselben Händen bleibt, 
erwächst eine Liebe zur Heimat, wie sie kein anderer Stand hat, und die 
die erste und sicherste Quelle des Patriotismus ist, wie ihn der Staat in 
ernsten Zeiten braucht. (Bravo!) 
Ich halte weiter dafür, daß eine der wesentlichsten Grundlagen unseres 
Daseins das Familienleben ist. Die Arbeiter, die in industriellen Betrieben 
beschäftigt sind, mögen noch so weitgehende Wohlfahrtsanstalten genießen: 
— im allgemeinen glaube ich mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß 
das Leben des Arbeiters auf dem Lande eher die Möglichkeit eines gesunden 
Familienlebens gibt, als das eines Arbeiters in der Stadt. (Sehr richtig! 
rechts.) Ich will damit nicht sagen, daß die Verhältnisse auf dem Lande 
überall so wären; ich weiß sehr gut, wie viel daran noch fehlt; ich behaupte 
nur, die Möglichkeit ist auf dem Lande eher gegeben als in der Stadt; und 
weil ich das Familienleben für eine Quelle der Kraft und des Gedeihens 
des Staates in körperlicher und sittlicher Beziehung ansehe, so würde ich 
allein schon hierin Grund genug finden, es zu beklagen, wenn die Land- 
wirtschaft einer Krisis entgegenginge und geschädigt würde. 
Das höchste und letzte Motiv aber für die Erhaltung der Landwirt- 
schaft ist ein durchaus und exklusiv staatliches. Ich bin der Ueberzeugung, 
daß wir eines Körnerbaues, der zur Not hinreicht, selbst die steigende Be- 
völkerung, wenn auch unter Beschränkungen, im Kriegsfall zu ernähren, gar 
nicht entbehren können. (Sehr richtig!) Das Dasein des Staates wird aufs 
Spiel gestellt, wenn er nicht im stande ist, von seinen eigenen Bezugsquellen 
zu leben. (Sehr richtigl) 
Sie können mir erwidern: es können Mißjahre eintreten, es können 
Unglücksjahre eintreten. Ja wohl; das sind dann aber keine normalen Ver- 
hältnisse, und in etwas sehen wir solchen Unglücksfällen auch dadurch vor, 
daß wir in diesen Verträgen das Bestreben haben, uns mit einem hervor- 
ragend getreidebauenden Staat so eng zu verbinden, daß wir hoffen dürfen, 
selbst im Kriegsfalle würden dessen Mittel uns zur Verfügung stehen. Ich 
habe sagen hören: das ist eine übertriebene Ansicht; selbst wenn wir einen 
Krieg hätten zugleich gegen Frankreich und Rußland, — es bleibt uns ja 
doch der Weg über die See offen: da sind neutrale Staaten, die werden das 
Korn bei uns einführen. Ich möchte das Wohl des Staats auf so unsichere 
Faktoren nicht stellen. Der Seehandel im Falle eines Krieges ist geregelt 
oder soll wenigstens geregelt sein durch die Pariser Konvention von 1856.
	        
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