Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

206 Bie Gesterreichisc-Ausarische Monarchie. (November 12.) 
hoffnungsvolle Friedensaussicht walten werde, erwidert der Kaiser, 
die Friedensversicherungen seien mit größter Vorsicht aufzunehmen. 
Sie beruhten zunächst nur auf Erwartungen, deren Realisierung 
in hohem Grade wünschenswert wären. Dem Delegierten Ruß 
gegenüber äußert sich der Kaiser über die römische Friedenskonfe- 
renz und bemerkt, er glaube nicht, daß auf dem eingeschlagenen 
Wege das Ziel der Konferenz erreicht werden könne. 
Später werden noch verschiedene Einzelheiten bekannt. Mit 
verschiedenen Delegierten bespricht der Monarch Fragen der inneren 
Politik. Als der alttschechische Delegierte Pollak sich erlaubt, sich 
dem Kaiser als einen der letzten wenigen alttschechischen Abgeord- 
neten vorzustellen, die dem Prinzip der Versöhnung treu geblieben 
seien und für dasselbe auch ehrlich arbeiten wollen, bemerkt der 
Kaiser: „Das freut mich wirklich herzlich, sehr herzlich. Es ist das 
ja ein Prinzip, welches zum Durchbruche gelangen muß, aber nie 
kann dies bei einem Prinzip der Fall sein, für welches täglich ganz 
leere Phrasen zum Fenster hinaus gesprochen werden.“ Hierauf 
bemerkt Pollak: „Ich fürchte nur, Majestät, daß das Prinzip nicht 
so bald durchgeführt wird.“ Hierauf sagt der Kaiser in bestimmtem 
Tone: „Aber geschehen muß es, und so Gott will, wird es auch.“ 
Den Abgeordneten Dr. Dostal fragt der Kaiser: „Sind Sie auch 
in irgend welchem Ausschusse?“ Worauf Dr. Dostal erwidert: 
„Als alttschechischer Abgeordneter gehöre ich keiner Fraktion an 
und bin auch infolge dessen in keinem Ausschusse.“ Hierauf spricht 
der Monarch in sehr strengen Worten sein Bedauern über die Wirr- 
nisse in Böhmen aus und gibt zugleich der Hoffnung Ausdruck, 
daß die Bevölkerung Böhmens bald wieder zur Beruhigung kom- 
men werde. 
12. November. (Wien.) In einem Ministerrat unter Vorsitz 
des Kaisers wird entschieden über die Forderungen der Polen wegen 
Dezentralisierung der Staatsbahnen. Nach Schluß der Sitzung, 
welcher auch der Chef des Generalstabes, F.M. Baron Beck., bei- 
wohnt, wird der Obmann des Polenklubs, Abg. R. v. Jaworski, 
zum Kaiser berufen. 
Die Regierung hat zwar einen großen Teil der galizischen Wünsche 
acceptiert, und sämtliche Minister waren in dieser Hinsicht einmütig, aber 
auf Grund der Einwendungen der höchsten militärischen Autoritäten wird 
keinerlei wesentliche Aenderung in der bisherigen Organisation der galizischen 
Staatsbahnen eintreten und demgemäß auch keine Zentraldirektion in Lem- 
berg mit den für sie in Anspruch genommenen Befugnissen errichtet. Sämt- 
liche Betriebsdirektionen des Staatsbahnnetzes werden das Recht haben, die
	        
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