212 Bie Gesterreichisch-Augarische Monerchie. (November 14.)
Auf weitere Fragen macht Graf Kalnoky darauf aufmerksam, daß
bei der Dardanellen-Frage die Interessen unfrer Monarchie nicht unmittel-
bar berührt werden, daß vielmehr andere Mittelmeermächte dieser Frage
viel näher stehen und keine derselben zu der Regelung der Durchfahrt für
die russischen Kreuzerschiffe eine andere Stellung eingenommen habe als wir.
Der Minister gibt dem Delegierten Csernatony darin recht, daß bei
unfrer Allianz mit Italien auch die orientalischen Angelegenheiten wesentlich
in Betracht kommen. Die Interessen Italiens lägen allerdings mehr nach
dem Mittelländischen Meere hin, als weiter hinein nach den Balkanländern.
Unter den heutigen Verhältnissen aber lassen sich die einen von den anderen
kaum trennen, und daher dürfe man wohl sagen, daß bezüglich des Orients
unsre Interessen und die Ziele unfrer Politik mit jenen Italiens identisch
seien. Auch Italien verfolgt im Orient eine konservative, auf Erhaltung
des status quo gerichtete Politik, genau so wie wir, und Italien strebt
ebensowenig wie wir Länder-Erwerb oder einen unberechtigten Einfluß in den
Balkanländern an. Der Minister habe die Reise des Herrn v. Giers und
dessen Zusammenkunft mit dem italienischen Ministerpräsidenten ohne irgend
welches Mißtrauen betrachtet. Er habe diese Begegnung eher wünschenswert
gefunden, weil er Herrn v. Giers aus persönlichem Verkehre als einen sehr
achtungswerten gemäßigten Staatsmann kennt und man es nur als nützNlich
ansehen konnte, wenn derselbe sich aus unmittelbarer Berührung mit dem
leitenden italienischen Minister die Ueberzeugung verschaffe, daß Italien ge-
nau wie die anderen Mitglieder des Dreibundes nicht daran denke, andere
als durchaus friedliche Ziele anzustreben. Ueber das, was zwischen den
beiden Staatsmännern gesprochen worden sein könne, glaubt Graf Kalnoky
bei den vertrauensvollen Beziehungen, welche zwischen den Ministern der
dem Dreibunde angehörenden Staaten bestehen, sagen zu können, daß er
keinen Grund habe, von dem Verlaufe und Resultate dieser Zusammenkunft
nicht ganz befriedigt zu sein.
Der Minister kommt schließlich berichtigend auf einen Passus in der
Rede des Grafen Apponyi zurück. Derselbe habe die einleitenden Worte in
der ersten Rede des Ministers so gedeutet, als ob letzterer sich den pessimi-
stischen Interpretationen, welche die Ansprache Sr. Mjestät an die Delega-
tionen in manchen Kreisen gefunden, angeschlossen hätte. Redner finde zwar
von dem, was er gesagt, nichts zurückzunehmen, müsse aber richtigstellend auf
zwei Momente aufmerksam machen; erstens, daß kein Grund vorliege, zu
sagen, daß er die europäische Situation in wesentlich anderem Sinne beur-
teile, als dies letzthin vonseiten des italienischen wie des englischen Premier-
ministers geschehen ist, denn auch er habe erklärt, gegenwärtig keinen Grund
zur Bedrohung des Friedens zu erblicken, und daß dies seine Ansicht sei,
dafür könne er den thatsächlichen Beweis liefern, indem er auf das eben
vorgelegte Budget des Kriegsministers verweise. Wie viele Millionen würde
wohl die gemeinsame Regierung habe einstellen müssen, wenn sie wirklich an
eine imminente Gefahr glauben würde und Besorgnisse ernster Art für die
nächste Zukunft hegte? Bezüglich der Dardanellenfrage müsse er noch nach-
träglich erwähnen, daß die Durchfahrt der zur Kreuzerflotte gehörenden
Schiffe keineswegs etwas ganz neues sei. Die Schiffe machen die Fahrt be-
reits seit Jahren. Es haben sich jedoch zu wiederholtenmalen, wenn Sol-
daten transportiert wurden, von türkischer Seite Schwierigkeiten ergeben,
und dieses sollte nun ein= für allemal geregelt werden. Graf Szecsen habe
ganz richtig bemerkt, daß das Recht, die Durchfahrt durch die Dardanellen
zu gestatten, dem Sultan allein zustehe, und daß er diese Erlaubnis selbst
Kriegsschiffen gewähren könne. Wenn eine der Mächte gegen die in Rede
stehende Vereinbarung Einwendungen erhoben habe, so sei aber auch bei