Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Italien. (November 4.—7.) 255 
Die an dem interparlamentarischen Kongresse teilnehmenden Abgeord- 
neten aus dem Deutschen Reiche legen nach der Eröffnungssitzung einen 
Kranz auf das Grab Viktor Emanuels nieder. 
Aus der Vorgeschichte des Kongresses. 
Bonghi, der Präsident des einberufenden Ausschusses, veröffentlichte 
im September in der Nuova Antologia einen Aufsatz, in dem es hieß: 
„Frankreich hat sich erholt, ja mehr als erholt, geistig wie mili- 
tärisch, und niemand zweifelt daran, daß seine Kriegsmacht der Deutschlands 
heute weit überlegen ist. Es hat ein inniges Bündnis mit Rußland und 
hält Augen und Geist fest auf die Provinzen gerichtet, welche der Eroberer 
ihm entrissen, und die täglich ihren Willen, französisch zu sein, ungestümer 
an den Tag legen. Elsaß-Lothringen zurückzunehmen, hat Frankreich zudem 
mehr recht, als wir bei unserem Streben nach der Lombardei, Venedig und 
Rom recht hatten. Und wir Italiener und unsere Verbündeten, die wir 
Frankreich an der Ausübung dieses Rechtes zu hindern suchen, handeln da- 
mit gegen unseren Charakter und unsere Geschichte." 
Hierauf richtete (28. September) der deutsche Reichstagsabgeordnete 
Barth an den Sekretär des Kongresses, Pandolfi, ein Schreiben, in dem er 
bemerkt: wenn man riskieren müsse, daß ein Nichtfranzose und Vorsitzender 
der Konferenz Elsaß-Lothringen in die Diskussion zöge und zwar im Sinne 
einer Verwerfung des status quo, so würde die Möglichkeit, an den weiteren 
Verhandlungen teilzunehmen, für die Deutschen nicht mehr bestehen. Für 
die deutschen Reichstagsabgeordneten sei die Nichtberührung einer elsaß-loth= 
ringischen Frage die Voraussetzung der Beteiligung an der Konferenz. 
Bonghi richtete darauf an das „Berliner Tageblatt“ ein Schreiben, 
in dem er seine Ansichten über Elsaß-Lothringen wiederholt, aber versichert, 
daß der Kongreß mit dieser Angelegenheit nichts zu thun habe. Es liege 
auf der Hand, daß Deutschland in einundzwanzig Jahren es nicht verstanden 
hat, die Elsaß-Lothringer sich zu Freunden zu machen; ja, es ist nicht ein- 
mal wahrscheinlich, daß ihm dies in der Zukunft gelingen wird, da Frank- 
reich sich inzwischen völlig erholt hat und seine natürliche Anziehungkraft 
von neuem ausübe. 
Hiergegen veröffentlichte ebenfalls im „Berliner Tageblatt“ der Abg. 
Rickert eine Erklärung und der Abg. Höffel (Elsässer) lehnt die Teilnahme 
am Kongresse ab. 
„Bonghi habe von der Stimmung im Elsaß keine Ahnung; die Zeit 
habe hier das Stadium der Versöhnung herbeigeführt, eine neue Generation 
sei herangewachsen, die von Frankreich nichts mehr wisse, und von den 
Alten habe sich die große Mehrzahl mit den bestehenden Verhältnissen ehr- 
lich abgefunden.“ 
Nunmehr verständigt man sich dahin, daß Bonghi dem Kongresse 
nicht präsidieren werde. 
4.— 7. November. Sitzungen der interparlamentarischen 
Konferenz. 
Mehrfache Versuche des irredentistischen italienischen Abgeordneten Im- 
briani, die Versammlung durch Anregung der Nationalitäten-Frage zu 
stören, werden vereitelt. Die praktische Entscheidung, die der Kongreß zu 
treffen hat, liegt zuletzt darin, ob ein internationales parlamentari- 
sches Komitee zur Schlichtung von Streitigkeiten, oder bloß ein permanentes 
Bureau eingesetzt werden soll. Ersterer Antrag, in einer Formulierung von 
Gaillard erhält die Mehrheit; die Deutschen, fast alle Engländer, Oester- 
reicher, Ungarn, Holländer, Belgier und einige Italiener stimmen dagegen. 
Sitz der nächsten Konferenz soll Bern sein.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.