Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Stalien. (November 7.—9.) 
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7. November. (Rom.) Unter dem Vorsitze Menotti Gari- 
baldis findet eine Versammlung des Generalrates der Vete- 
ranen statt, welcher beschließt, zur Organisation einer Agitation 
für die Abschaffung der Garantiegesetze und des ersten Artikels der 
Verfassung aufzufordern. 
9. November. (Mailand.) Der Ministerpräsident Ru- 
dini hält eine Bankettrede. 
In Bezug auf die auswärtige Politik sagt der Minister, daß Dank 
dem starken Heere, der mächtigen Flotte und der treuen Unterstützung der 
Bundesgenossen Italien gegen jeden Anschlag geschützt sei. Durch die Er- 
neuerung der Bündnisse mit Oesterreich-Ungarn und Deutschland sei der 
Zustand neu befestigt worden, der Italien in die Lage setze, jene Politik 
ernster Sammlung zu befolgen, welche den Kriegsausgaben ein Ziel zu 
setzen, dieselben sogar zu beschränken gestatte und dadurch auch die wirt- 
schaftliche und finanzielle Unabhängigkeit dauernd festigen werde. Auf seinem 
guten Rechte fußend, wolle Italien, fern von falschem Ehrgeize, kein anderes 
Ziel anstreben als die Erhaltung des status quo im Mittelmeere. Italien 
sei ein festes Element des Friedens. Englands Stimmung komme in dem 
herzlichen Empfange, der dem Prinzen von Neapel in London bereitet worden, 
zu beredtem Ausdrucke. Der Besuch des Ministers von Giers in Monza 
habe die öffentliche Meinung mit dem Gefühle friedlicher Sicherheit erfüllt. 
Die Beziehungen mit Frankreich seien von gewissen Schatten getrübt, welche 
alle italienischen Regierungen zu bannen bemüht gewesen seien. Diese 
Schatten würden jedoch schwinden. Die Hoffnung, daß dieses gelingen 
werde, sei seit den Ehrungen, welche in Nizza dem italienischen Volkshelden 
Garibaldi erwiesen wurden, bedeutend gestiegen. Das Echo jener Feste sei 
wie ein Klang von neuer Freundschaft und Herzlichkeit herübergedrungen 
und thue dem Herzen Italiens besonders wohl. Die wichtigsten Reformen, 
welche der Minister ankündigt, sind die Unfallversicherung, die Altersversor- 
gung, die Vereinigung mehrerer Provinzen derselben Region zu einem poli- 
tischen Kreise unter einem Statthalter. 
Ueber die kirchliche Politik sagte er: 
„Für die große Mehrzahl der Italiener ist die Liebe zu unseren 
staatlichen Einrichtungen ein gemeinsames Erbteil. Die Regierung weiß, 
daß sie diese Mehrheit gegen jede Beschimpfung zu schützen hat, und sie 
wird ihrer Aufgabe gerecht werden. Wir haben in unserem Hause das 
Papsttum, das manchmal eine drohende Stellung einnimmt. Wir werden 
es indessen in den Grenzen seiner geistlichen Macht zu halten wissen, und 
zwar nicht nur kraft der Gesetze, die auch das Papsttum nicht ungestraft 
beleidigen darf, sondern unter der fast einmütigen Zustimmung derer, die 
noch glauben und beten. Die hergebrachte kirchliche Politik unseres Landes, 
Italiens Ehre und Stärke, wird von uns gewissenhaft beibehalten werden. 
Bedauernswerte Zwischenfäll, die von einem Geistigarmen hervorgerufen worden 
sind, werden uns von diesem Beschlusse nicht abbringen. Reden wir wegen 
einer solchen Kleinigkeit nicht von einer Aenderung der Verfassung! Rühren 
wir nicht an das durch die Verfassung anerkannte und unabänderliche 
Garantiegesetz, das eine lange Erfahrung als zeitgemäß und nützlich erwiesen 
hat. Italien wird Sorge tragen, daß Gewissensfreiheit und religiöse Dul- 
dung, die in unserem Lande so glorreiche Bekenner gehabt haben, geachtet 
werden. Die Pilger aller Weltteile können unbesorgt nach Rom kommen