Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

314 IILIEITIIIIIIIIIIIIIIIIIIE 
wurde keineswegs von den staatserhaltenden Parteien als ein Er— 
folg und eine erfreuliche Thatsache begrüßt. Einerseits fühlte man, 
daß je gemäßigter jene Partei auftrete, sie desto schwerer in den 
Gemütern der Arbeiter zu bekämpfen sei, andererseits traute man 
dieser Sanftmut doch nicht und nahm es vor allem der Regierung 
übel, daß sie sich von den alten strengeren Grundsätzen und von 
ihren alten Freunden entfernt, und den unzuverlässigen Elementen 
der Opposition genähert habe. Scharfe Worte, die der Fürst Bis- 
marck von Friedrichsruh her zuweilen verlauten ließ, gossen Oel 
ins Feuer. Da nun doch auch die alte Opposition bei weitem nicht 
wirklich befriedigt war, so war die Unzufriedenheit und das Schelten 
allenthalben: ein merkwürdiger Kontrast dagegen, daß alle Gesetzes- 
vorlagen der Regierung mit kaum je erhörten Majoritäten ange- 
nommen wurden. 
Auf jene allgemeine Unzufriedenheit wäre demgemäß so viel 
nicht zu geben, wenn sich nicht noch ein anderes Moment eingemischt 
hätte, welches in einer oben (S. 159) wiedergegebenen Politischen 
Korrespondenz der „Preußischen Jahrbücher“ charakterisiert ist. 
Der größte Umschwung, das völlige Uebergehen von ehe- 
maliger unbedingter Opposition zum unbedingtesten Anschluß an 
die Regierung, hat sich bei den Polen vollzogen. Der letzte Grund 
liegt in den auswärtigen Verhältnissen. So lange Preußen und 
Rußland zusammenhielten, war Frankreich die Zukunftshoffnung 
der Polen. Nachdem sich nunmehr Rußland und Deutschland ent- 
zweit, Frankreich sich aber an Rußland angeschlossen hat, ist natur- 
gemäß der Gedanke entstanden, daß Polen gerade seine Stütze in 
Deutschland finden müsse. Natürlich gehört dazu der Entschluß, 
die jetzige Grenze als eine definitive anzuerkennen, und auch im 
Falle einer Wiederherstellung Polens nach Besiegung der Russen 
nicht die Abtretung irgend eines preußischen Landstrichs zu fordern. 
Ein solches Opfer haben die Deutschen gebracht, indem sie, um 
überhaupt einen deutschen Nationalstaat zu haben, auf die deutsch- 
österreichischen Provinzen verzichtet haben; ein ähnliches Opfer haben 
die Italiener durch die Abtretung von Nizza und Savoyen gemacht. 
Indem nun bei den Polen derselbe Gedanke Raum gewinnt, suchen 
sie möglichst engen Anschluß an die deutsche Regierung. Diese hin-
	        
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