Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 14.) 65 
zur Marine hatte, wurde angenommen — und ich glaube, daß das auch noch 
heute ist —, daß nicht über ein Drittel der Friedenspräsenzstärke in außer- 
heimischen Gewässern sein darf, wenn die Mobilmachung nicht gefährdet sein 
soll. Es liegt also schon in diesen Verhältnissen eine Grenze für die Marine. 
Wir können auch nicht das Bestreben haben, vorhersehen zu wollen, da kann 
mal ein Aufstand ausbrechen, da können mal deutsche Interessen gefährdet 
werden, um überall da Stationen anzulegen und dauernd Schiffe da zu haben. 
Wir können die Stationen nur da anlegen, wo der deutsche Handel eine 
gewisse Ausdehnung erlangt hat, wo deutsche Interessen in stärkerem Maße 
engagiert sind, und das würde für Chile zutreffen, denn die deutschen Inter- 
essen in Chile sind stark. 
Es kommt aber ein zweites Motiv hinzu. Wir werden Stationen 
anzulegen nur Grund da haben, wo die staatlichen Verhältnisse noch nicht 
so weit ausgebildet sind, daß in ihnen eine Garantie für den Schutz des 
Eigentums gefunden werden kann und wo die Regierungen sich noch in einem 
Zustande von so wenig entwickelten europäischen Anschauungen befinden, daß 
durch Verhandlungen mit den Regierungen hernach nichts zu erreichen ist. 
Dieses Motiv trifft für Chile nicht zu, und als man in der Lage war, eine 
Reihe von Stationen aufgeben zu müssen, hat man sich dazu entschlossen, 
Chile auch aufzugeben. Tritt der Wunsch in diesem Hause wieder auf, eine 
westamerikanische Station von neuem ins Leben zu rufen, so wird die Reichs- 
regierung das in Erwägung ziehen. Ich glaube aber, vorhersagen zu können, 
daß das ohne Kosten, sowohl was Material, als was die Menschen angeht, 
nicht möglich ist. 
Wenn es mir nun gelungen wäre, dem Herrn Abgeordneten zu zeigen, 
daß es doch nicht bloß an dem Mangel von Interesse und etwas gutem 
Gillen auf Seiten der Regierung gelegen hat, so würde es mir lieb sein. 
(Bravo!) 
Einige Wochen später werden trotz dieser Rede Schiffe nach 
Chile gesendet. 
14. März. Abgeordneter Windthorst +. 
14. März. Der Kaiser empfängt in feierlicher Form, um- 
geben von Ministern und hohen Hoschargen die elsässische Adreß- 
Deputation. In den Rittersal vor den Thron geleitet, trat 
Präsident Schlumberger vor und verlas die Adresse. Der Monarch 
nahm aus den Händen des Reichskanzlers das Papier, das die 
Antwort enthielt, und las: 
Es gereicht Mir zur Genugthuung, daß der Landes-Ausschuß sich in 
einer für die Interessen Elsaß-Lothringens wichtigen Frage unmittelbar an 
Mich gewendet hat. Ich erblicke in dieser Thatsache ein Mir wertvolles 
Zeugnis für das fortschreitende Verständnis, welches Mein Wohlwollen und 
Meine Teilnahme an der Entwickelung Ihres Heimatslandes im Kreise seiner 
Vertreter findet, auch nehme Ich gerne die Versicherung entgegen, daß die 
elsaß-lothringische Bevölkerung auf dem Boden der bestehenden staatsrecht- 
lichen Verhältnisse verharrend, jede Einmischung fremder Elemente zurückweist 
und den Schutz ihrer Interessen nur von dem Reiche gewärtigt. Indem Ich 
Ihnen für diesen Ausdruck reichstreuer Gesinnung Meinen Dank entbiete, 
bedauere Ich für jetzt Ihre Wünsche nicht erfüllen zu können. Ich muß 
Mich darauf beschränken, die Hoffnung auszusprechen, daß in nicht allzuferner 
Zeit die Verhältnisse es gestatten mögen, im Verkehre an der Westgrenze 
                                                                               
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXII.                                     5
	        
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