Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 1.) 87 
Roggenbaues sein. Die Thatsache liegt vor und spricht dafür, daß, wenn 
uns Roggen fehlen würde, ein Uebergang zu geringeren Weizensorten für 
diejenigen Klassen, die bisher Roggen gegessen haben, in nicht unerheblichem 
Maße möglich ist. Es kommt dann hinzu, daß die Marktverhältnisse in den 
sogenannten Nebenartikeln günstig stehen, so daß das Land, wenn es davon 
absieht, Roggen zu anderen Zwecken, z. B. zu Futterzwecken, zu verkaufen, 
und dazu diese Nebenartikel verwendet, wohl in der Lage sein wird, seinen 
Nahrungsbedarf an Roggen zu decken. 
Wenn nun die Verhältmnisse so liegen, so entsteht für die Staats- 
regierung die Frage: soll man nicht doch angesichts des Drängens von ver- 
schiedenen Seiten, angesichts der Aufregung, die im Lande auf die eine oder 
andere Weise über diese Frage entstanden ist, sich entschließen, jetzt auf eine 
Herabsetzung oder Aufhebung der Zölle hinzuwirken! Man muß sich da 
die Frage vorlegen: was würde eine solche Aufhebung zur Zeit nützen! 
Die Frage, wieweit Zölle auf die Preisbildung einwirken, ist — und da- 
rüber, glaube ich, wird, seitdem zum erstenmal in diesem Hause über Korn- 
zölle verhandelt worden ist, eine Klärung der Ansichten eingetreten sein — 
eine sehr komplizierte und nicht mit so einfachen Worten, wie „das Ausland 
bezahlt den Zoll“ oder „der Konsument bezahlt den Zoll“ abzuthun. (Sehr 
richtig!) 
Zahlreiche sehr schwer zu übersehende Verhältnisse machen es selbst 
unseren größten Nationalökonomen schwierig, nicht allein generell über diese 
Frage zu entscheiden, sondern auch im einzelnen Fall einwandsfreie Resultate 
zu gewinnen. 
Sehr schwer wird es im gegenwärtigen Fall sein, festzustellen, wie 
weit eine Aufhebung oder Herabminderung der Kornzölle auf Zeit geeignet 
wäre, die Kornpreise bei uns zum Sinken zu bringen. (Sehr richtig!) Wir 
haben in den letzten Tagen, wo infolge der Sitzung vom 27. Mai sich in 
weiteren Kreisen der Glaube verbreitete, es würden die Zölle heruntergesetzt 
werden, die Erfahrung gemacht, daß in Nachbarländern, in Rußland, den 
Niederlanden ect. die Preise anzogen. (Sehr richtigl) Das Ausland schickte 
sich eben an, von der ungewöhnlichen Lage, in der wir uns befinden, Nutzen 
zu ziehen. 
Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß der Weltmarkt, der ja 
unsere Kornpreise mit bedingt, im ganzen eine steigende Tendenz hat, und 
nach dem, was ich von Sachverständigen ersten Ranges gehört habe, neige 
ich mich auch dem Glauben zu, daß diese steigende Tendenz noch anhalten wird. 
Es werden verschiedene Gründe dafür angegeben. Der eine sagt: 
unser Kornhandel ist schon seit Jahren nicht weitsichtig genug gewesen, er 
hat mit falschen Voraussetzungen gerechnet, er fängt jetzt erst an zu erkennen, 
wie die Sache liegt, und er wird genötigt sein, mit den Preisen in die 
Höhe zu gehen. Andere behaupten: bei der steigenden Bevölkerung in der 
ganzen zivilisierten Welt wird der Getreidebedarf immer stärker, und der 
Getreidebau hat damit nicht Schritt gehalten; dieser zweite Teil kommt zu 
demselben Resultat, wenn auch aus anderen Voraussetzungen: der Welt- 
handel wird eine steigende Tendenz behalten. 
Setzen wir nun die Zölle herunter, so ist nach meiner Ueberzeugung 
mit Sicherheit anzunehmen, daß die Preisermäßigung auf dem deutschen 
und preußischen Markte nicht der Heruntersetzung unserer Zölle gleichkommt. 
(Sehr richtigl) Seit einer Reihe von Wochen ist der Preis des Getreides 
in Deutschland gleich dem Weltmarktpreise — ich nehme hier den Londoner 
Preis als Weltmarktpreis an — plus den Zöllen. Und nun variiert es: 
einmal kommt es etwas höher und einmal etwas drunter, im allgemeinen 
aber zahlen wir zur Zeit Weltmarktpreis plus Zoll.
	        
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