Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Das Dentsche Reih und seine einzelnen Glieder. (Juli 31.) 125 
„Ich habe noch Napoleon I. gesehen, Deutschland im Zustande 
tiefster Erniedrigung. Ich habe auch Göthe gesehen und damit Deutschland 
auf der Höhe litterarischer Entwickelung und sehe nun in Ew. Durchlaucht 
den, der unser Vaterland auf den Gipfel politischer Entwickelung gehoben 
hat. Nun will ich gern sterben!“ 
31. Juli. Auf dem Marktplatz in Jena findet eine große 
Festlichkeit statt, bei welcher der Fürst folgende Rede hält: 
„Meine verehrten Mitbürger vom Thüringer Lande! Ich danke 
zuvörderst herzlich für den herzlichen Empfang, den ich bei Ihnen gefunden 
habe, und kann die Gedanken, die mich bewegen, nicht besser bethätigen, 
als indem ich meine Beziehungen zu diesem Lande aus früheren Zeiten her 
Ihnen schildere. In Thüringen habe ich als Kind zuerst — das nordische 
Flachland in Brandenburg und Pommern sieht ganz anders aus — Felsen, 
Berge, Burgen mit ihren geschichtlichen Erinnerungen kennen gelernt. Diese 
ersten Eindrücke der Kindheit haben um den Begriff Thüringen in meinen 
Empfindungen einen Nimbus der Romantik gewebt, der getragen wurde 
namentlich durch die Erinnerungen an die Wartburg, an ihre Vorzeit, an 
Luther, an die Reformation und auch an die Entwicklung unfrer deutschen 
Sprache. Die Lutherische Bibelübersetzung ist der erste Anfang einer Eini- 
gung unsrer Sprache, die bis dahin in Dialekte zersplittert war. In 
reiferer Jugend mußte ich lernen, welche Bedeutung für unfre geistige und 
nationale Entwickelung das Thüringer Land in Gestalt von Weimar und 
Jena gehabt hat, einer Universität, an der Schiller Professor war, und 
welche unter der Leitung Goethe's lange Zeit gestanden hat. Der Name 
Jena hatte für mich als Sohn einer preußischen Militärfamilie einen schmerz- 
lichen und niederdrückenden Klang. Es war das natürlich und ich habe 
erst in reiferen Jahren einsehen gelernt, welchen Ring in der Kette der 
göttlichen Vorsehung für die Entwickelung unseres deutschen Vaterlandes 
die Schlacht von Jena gebildet hat. Mein Herz kann sich nicht darüber 
freuen, mein Verstand sagt mir aber: wenn Jena nicht gewesen wäre, 
wäre vielleicht Sedan auch nicht gewesen. (Beifall.) Die friederizianische 
preußische Monarchie war eine großartige, in sich einige Schöpfung, aber 
sie hatte ihre Zeit ausgelebt. Und ich glaube nicht, daß, wenn sie bei 
Jena siegreich gewesen wäre, wir in einen gedeihlichen Weg nationaler 
deutscher Entwickelung geleitet sein würden. Ich weiß es nicht. Aber die 
Zertrümmerung des morsch gewordenen Baues — morsch, wie die Kapitu- 
lationen unfrer ältesten und achtbarsten Generale aus jener Zeit bewiesen 
haben — schuf einen freien Platz zum Neubau und das zerschlagene Eisen 
der altpreußischen Monarchie wurde unter dem schweren und schmerzlichen 
Hammer zu dem Stahl geschmiedet, der 1813 die Fremdherrschaft mit 
scharfer Elastizität zurückschleuderte. Ohne vollständigen Verzicht auf die 
Vergangenheit wäre das Erwachen des deutschen nationalen Gefühles im 
preußischen Lande, welches aus der Zeit der tiefsten Schmach der Fremd- 
herrschaft seine ersten Ursprünge zieht, kaum möglich gewesen. Warum es 
tot discrimina rerum durchzumachen hatte, kann ich Ihnen nicht weiter 
entwickeln, ohne mich von neuem dem Vorwurf der greisenhaften Geschwätzig- 
keit auszusetzen. (Große Heiterkeit.) Ich will nur erwähnen, daß ich 1832 
die Universität bezogen habe mit mehr burschenschaftlichen als landsmann- 
schaftlichen Empfindungen, daß es äußere Umstände waren, die mich davor 
bewahrt haben, in die späteren Gefahren der burschenschaftlichen Thätigkeit 
verflochten zu werden. Es war doch damals auch dem märkischen Sandboden 
das Gefühl der deutschen Nationalität nicht so absolut fremd, daß nicht ein 
irgendwie lebendiger Geist in seinem Sinne empfunden und gewirkt hätte, 
 
	        
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