Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Das Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 31.) 139 
und Königs Friedrich III. Majestäten. Aber in ihrer hochherzigen Weise 
erweiterten sie den Plan dahin, durch den Erneuerungsbau zugleich ein 
Denkmal der deutschen Reformation zu stiften. Nachdem mein hochseliger 
Herr Großvater die Bereitstellung der hierzu erforderlichen Mittel angeord- 
net hatte, ergriff mein verewigter Herr Vater das Projekt mit der ganzen 
Wärme Seines tiefen Gemütes. Seiner unmittelbaren Anregung und Ein- 
wirkung verdanken wir bis in die kleinsten Ausgestaltungen das hehre Bau- 
werk, welches wir heute kirchlich geweiht haben. Fanden doch in dieser 
Aufgabe Sein echt evangelischer Sinn und Seine hohe künstlerische Begabung 
die schönste Befriedigung. Gott hat es nicht gewollt, daß mein unvergeß- 
licher Herr Vater das vollendete Werk hat schauen sollen. Nie aber wird 
die dankbare Nachwelt es vergessen, daß Sein Name mit diesem Denkmal 
der Reformation unzertrennlich verbunden ist. 
Uns aber, dem lebenden Geschlechte, soll die erneute Schloßkirche 
nicht nur ein Zeichen der Erinnerung sein an vergangene Zeiten, sondern 
sie ist und bleibt uns eine ernste Mahnung für Gegenwart und Zukunft. 
Denn sie ist uns der beredte Ausdruck des Segens, den Gott uns durch die 
evangelische Kirche geschenkt hat und täglich aufs neue darreicht. Diesen 
Segen nicht verkümmern zu lassen, ihn dankbaren und gläubigen Herzens 
zu bewahren und zu pflegen, ist unsere Aufgabe. Denn auf dem gläubigen 
Festhalten an der ewigen Wahrheit des Evangeliums ruht unsere Hoffnung 
im Leben und im Sterben. 
Wir haben unseren Glauben heute vor Gottes Angesicht aufs neue 
bekannt, und wir vergessen es nicht, daß dieses Bekenntnis uns auch heute 
noch mit der gesamten Christenheit verbindet. In ihm liegt ein Band des 
Friedens, welches auch über die Trennung hinüberreicht. Es gibt in 
Glaubenssachen keinen Zwang. Hier entscheidet allein die freie Ueberzeugung 
des Herzens, und die Erkenntnis, daß sie allein entscheidet, ist die gesegnete 
Frucht der Reformation. Wir Epvangelischen befehden niemand um seines 
Glaubens willen. Aber wir halten fest an dem Bekenntnisse des Evangeliums 
bis in den Tod. Das ist meine Zuversicht, mein Gebet und meine Hoffnung. 
Darin bestärkt mich der Geist, der diese Festversammlung sichtlich durchweht. 
Auf dem festen Grunde unseres evangelischen Glaubens haben wir 
das heutige Fest feiern dürfen. Daß dies in so erhebender Weise hat ge- 
schehen können, verdanke ich vor allem den Allerhöchsten und Höchsten 
Fürsten, sowie den Regierungen der freien und Hansestädte des Deutschen 
Reichs. Es drängt mich, Ihnen dafür meinen tiefen Dank zu entbieten. 
Der gleiche Dank erfüllt mich gegen die Allerhöchsten Souveräne befreun- 
deter Reiche, welche mit uns durch das Band des evangelischen Glaubens 
verknüpft sind und welche ihre Teilnahme an der heutigen Feier durch Ent- 
sendung erlauchter und hoher Vertreter so bereitwillig bekundet haben. Mein 
Dank und meine Anerkennung gebühren endlich den Männern, welche den 
herrlichen Bau geschaffen, ihn so reich und sinnreich geschmückt und dazu 
beigetragen haben, das heutige Fest so schön zu gestalten. 
Dieser Pokal aber, deein stn Luthers Lippen berührten, soll mir dazu 
dienen, das Wohl meiner Durchlauchtigsten Gäste daraus zu trinken. Deutsch- 
lands evangelische Fürsten nud die Regierungen der Deutschen freien Städte 
— sie leben hoch! 
Am Lutherhause vollzieht der Kaiser mit den Fürsten fol- 
gende Urkunde: 
Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! 
Nachdem Meines in Gott ruhenden Herrn Großvaters, des Kaisers 
und Königs, Wilhelm I. Majestät im Jahre 1883, als dem 400. Gedächt-
	        
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