8 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14./15.)
14./15. Januar. (Reichstag.) Interpellation über den
mangelnden Schutz der Deutschen im Auslande. Interpellation
über Handwerkerkammern.
Abg. Hasse (ul.) bringt folgende Interpellation ein: „Was gedenkt
der Herr Reichskanzler zu thun angesichts der vielfachen Klagen über den
mangelnden Schutz der Deutschen im Auslande, insbesondere in Central-
Amerika?" Der Interpellant führt aus, daß seit 1890 das Ansehen der
Deutschen im Auslande gesunken sei, da Graf Caprivi es an einer kräftigen
Vertretung der Deutschen habe fehlen lassen.
Staatssekr. Frhr. Marschall v. Biberstein: Meine Herren!
Dem Herrn Vorrredner bin ich dankbar dafür, daß er meinem Wunsche,
die Frage des Schutzes der Deutschen im Auslande möglichst bald hier im
Reichstage zur Sprache zu bringen, in so bereitwilliger Weise gefolgt ist
und mir durch die eben begründete Interpellation Gelegenheit gegeben hat,
eine Reihe von Vorgängen zu beleuchten, die seit längerer Zeit zur öffent-
lichen Diskussion stehen und auch nach meiner Wahrnehmung in weiten
Kreisen Bewegung und Erregung verursacht haben. Wenn der Herr Vor-
redner dabei auf eine Kritik der auswärtigen Politik der letzten fünf Jahre
eingegangen ist, so will ich ihm im Einzelnen nicht folgen; wenn er aber
dem Herrn Grafen v. Caprivi hier vor versammeltem Reichstage den Vor-
wurf gemacht hat, seine auswärtige Politik sei nichts gewesen, als „ein
fortwährendes Verneigen vor dem Auslande“ (Hörtl hört!), so hat er dafür
keinen Beweis erbracht, und ich muß diesen Vorwurf mit Entschiedenheit
zurückweisen. (Sehr richtig! Bravo !) Niemand kann mehr als ich die
unsterblichen Verdienste des Fürsten v. Bismarck anerkennen (Bravo rechts);
niemand kann mehr als ich anerkennen, welche Bedeutung seine Persönlich-
keit hatte im Auslande und im Inlande, aber ich meine, man kann das
anerkennen, ohne darum ungerecht zu werden gegen seinen Nachfolger (Sehr
richtig! Bravo !), der in schwerer Zeit die Geschäfte des Reiches übernommen
und — das müssen alle Gegner desselben anerkennen — sich seiner Aufgabe
während mehr als vier Jahre mit voller Hingebung, mit voller Aufopferung
gewidmet hat. (Bravo !) Die Kunde aus fernen Landen, daß dort Deutsche
mißhandelt, getötet, ihres Eigentums, ihrer Freiheit beraubt worden seien,
ohne daß der deutsche Vertreter einen Finger für dieselben gerührt, ja,
daß er auf dringenden Hilferuf diese Hilfe verweigert habe mit nichtigen
Vorwänden, ist in der That geeignet, unser Nationalgefühl zu verletzen,
und darin hat der Herr Vorredner recht: es ist mehr als je Zeit, daß wir
dahin streben, unser Nationalgefühl zu stärken (Bravo! rechts), und es kann
kein Vorwurf für die auswärtige Politik empfindlicher sein, als der, daß
sie sich in Widerspruch gesetzt habe mit dem nationalen Empfinden. Nun
hat der Herr Vorredner eine ganze Reihe von Fällen dargelegt, aus denen
nach seiner Ansicht die Schutzlosigkeit der Deutschen hervorgehen soll. Seine
Vermutung, daß in den letzten fünf Jahren neue Instruktionen an unsere
Vertreter im Auslande nicht ergangen seien, trifft vollkommen zu. Es ist
nichts modifiziert worden an den generellen und speziellen Instruktionen,
die in den 70er und 80er Jahren an die Vertreter in Mittel= und Süd-
amerika erlassen sind. Ich will diese Instruktionen nicht verlesen. Ich
kann es nicht für nützlich finden, daß wir uns im Einzelnen dem Auslande
gegenüber hier festlegen; nur das kann ich sagen: von dem Gedanken, der
vielfach in der Polemik außerhalb des Hauses und auch in der Rede des
Herrn Vorredners zu finden war, daß wir jene mittel= und südamerikanische
Staaten von oben herunter betrachten sollen, als nicht ebenbürtige Staaten,
daß wir ihnen schroff gegenübertreten sollen, von diesem Geist findet sich