Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 24.—Ende.) 133 
wegung keine Verminderung der sozialdemokratischen Stimmen befürchtet. 
Günstiger urteilen das „Deutsche Protestantenbl."“, die „Badische 
Arbeiterztg.", „Christl. Welt“. 
24. November. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Erste 
Beratung des Gesetzentwurfs, betr. den Erwerb der hessischen Lud- 
wigsbahn (vgl. S. 99) und der Konversionsvorlage. 
Der Gesetzentwurf bestimmt, daß das hessische Ludwigseisenbahn- 
unternehmen vom preußischen und hessischen Staate erworben und zwischen 
beiden Staaten eine Eisenbahnbetriebs= und Finanzgemeinschaft gebildet 
werden soll. — Die Vorlage wird, nachdem Minister Thielen sie begründet 
und die Redner fast aller Parteien befürwortet haben, an die Budgetkom- 
mission verwiesen. 
Die Konverfionsvorlage bestimmt, daß rund 3600 Millionen Mark 
4 péCt. preußischer Staatspapiere in 3⅛½ péCt. verwandelt werden sollen. 
Diese neuen 3 ½ pCt. Konsols bleiben unkündbar bis zum Jahre 1905. 
— Finanzminister Dr. Miquel: Die Regierung habe sich nicht eher zur 
Konvertierung entschlossen, um erst zu konstatieren, daß das Sinken des 
Zinsfußes nicht vorübergehend sei. Das sei geschehen und es würde unge- 
recht gegen den Steuerzahler sein, dem Staatsgläubiger einen höheren Zins- 
fuß als dem Privatgläubiger zu gewähren. Die Sicherheit bis 1905 vor 
weiteren Herabsetzungen geschützt zu sein, erleichtere dem Staatsgläubiger 
die Zustimmung zur Konversion. Abg. Ehlers (fr. Vp.) ist für die Konversion, 
findet aber die Schonzeit von 8 Jahren zu lang. Abg. v. Erffa (dkons.) 
stimmt der Vorlage zu und erhofft davon ein Sinken der landwirtschaftlichen 
Hypothekenzinsen. Für die Vorlage sprechen ferner Abgg. Fritzen (3.), 
Sattler (nl.), Stengel (frkons.), Rickert (frs. Vg.), dagegen Abg. v. 
Willisen (kons.), weil die Vorlage die Stiftungen, Witwen und Pensionäre 
schädige. — Die Vorlage wird der Budgetkommission überwiesen. 
24. November. (Kiel.) Der Kaiser vereidigt die Marine-- 
rekruten und hält dabei folgende Rede: 
„Matrosen! Der Eid, den Ihr geschworen, ist die Grundlage der Diszi- 
plin. Ohne Gott und Religion gibt es keine Disziplin. Macht Euren Vorfahren 
in des Kaisers Rock Ehre. Ein Feind ist vorläufig nicht zu fürchten, kommt 
aber einer, dann werdet Ihr ihm unerschrocken, ohne Furcht gegenüber stehen."“ 
Ende November. Dezember. (Hamburg). Großer Strike 
der Hafenarbeiter Hamburgs. Haltung der Presse. 
Die Schauerleute fordern eine Lohnerhöhung von 4,20 J auf 5 q# 
täglich, da sie nicht das ganze Jahr beschäftigt seien und die Arbeit mit 
großen Anstrengungen verbunden sei. Die Rheder verweigern die Forderung 
mit der Begründung, daß die gezahlten Löhne auskömmlich und die Arbeit 
leicht zu erlernen sei. Ein von den Ausständigen vorgeschlagenes Schieds- 
gericht, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten sein sollen, wird 
von den Rhedern abgelehnt (1. Dezember). Infolgedessen wird der General= 
streik aller in den Häfen beschäftigten Arbeiter beschlossen (4. Dezember). 
Ein vom Hamburger Senat gemachter Vermittlungsversuch wird von den 
Ausständigen, trotzdem sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete ihn befür- 
worten, abgelehnt (19. Dezember), weil keine Sicherheit gegen Maßregelungen 
der Führer gegeben sei. Die Rheder lassen Ersatzmannschaften — auch aus 
dem Auslande — kommen, die Ausständigen suchen durch lebhafte Agitation 
von dem Zuzug nach Hamburg abzuhalten. In Arbeiterkreisen wird überall
	        
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