Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

22 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 26.) 
Rede des Kaisers bei der Rekrutenvereidigung am 18. November 1897 
(Jahrg. 1897 S. 143) kritisiert. 
26. Januar. (Reichstag.) Anträge auf die Besteuerung 
von Saccharin und verwandten Süßstoffen. Erklärung Thielmanns. 
Ein Antrag v. Ploetz ersucht die Regierung, einen angemessenen 
Zoll auf Saccharin noch in dieser Session beim Reichstage durch Abände- 
rung des Zolltarifs zu beantragen und baldmöglichst eine Fabrikatsteuer 
für den im Zollinlande produzierten Saccharin einzuführen. Abg. Paasche 
(nl.) beantragt, Saccharin, Zuckerin. Krystallose und Dulzin einer Ver- 
brauchsabgabe von 80 Mark pro Kilogramm Nettogewicht zu unterwerfen; 
ebenso hoch solle der Eingangszoll bemessen werden. Abg. v. Ploetz (kons.): 
Der Zuckerindustrie müsse unbedingt geholfen werden. Das Saccharin, 
dessen Produktion in Deutschland erheblich gestiegen sei, mache dem Zucker 
empfindliche Konkurrenz, da es die drei- bis vierhundertfache Kraft des 
Zuckers besitze, aber keinen Nährwert habe. Man müsse es daher besteuern, 
wie in anderen Ländern schon geschehen sei. Abg. Dr. Hermes (frs. Vp.): 
Das Sachharin sei unentbehrlich als Arznei und nicht gesundheitsschädlich. 
Eine bessere Unterstützung der Zuckerindustrie als diese Anträge würden 
die Aufhebung der Exportprämien und Vergrößerung des Konsums im 
Inlande sein. Schatzsekretär Dr. Frhr. v. Thielmann: In dem Antrage 
Paasche ist in erster Linie von Saccharin, Zuckerin, Krystallose und Dulzin 
die Rede, und in einem späteren Paragraphen wird gesagt, daß der Bundes- 
rat ermächtigt sein soll, andere „verwandte“ Süßstoffe einem entsprechenden 
Zolle zu unterwerfen. Meine Herren, ich möchte, daß Sie sich bei der Be- 
ratung gegenwärtig halten, daß der Kreis der verwandten Süßstoffe kein 
begrenzter ist. Ich habe hier ein Gutachten des kaiserlichen Gesundheits- 
amts, in dem nicht weniger als 17 verschiedene Namen für solche Süß- 
stoffe aufgeführt sind. Sie lassen sich im wesentlichen allerdings auf zwei 
Grundstoffe zurückführen, nämlich auf das eigentliche Saccharin und das 
Dulzin. Die chemischen Namen dieser beiden Stoffe erlassen Sie mir wohl; 
sie würden die halbe Sitzung ausfüllen. (Heiterkeit.) Was sind nun ver- 
wandte Stoffe? Die deutsche chemische Industrie steht an der Spitze der 
gesamten chemischen Industrie der Welt, und wir können erwarten, daß 
heute oder morgen, in diesem oder im nächsten Jahre ein Chemiker einen 
neuen Stoff erfindet, der ebenso süß ist wie Saccharin oder vielleicht noch 
süßer. Es würde der Begriff der verwandten Stoffe Ihrerseits also ge- 
nauer begrenzt und genauer festgelegt werden müssen; denn es wäre dem 
Bundesrat vielleicht nicht erwünscht, die Frage selber entscheiden zu sollen. 
Was ist alles „verwandt"? Denn nimmt man den Bergriff der Süßkraft 
überhaupt als Grund der Verwandtschaft, so ist schließlich auch der Stärke- 
zucker „verwandt“, und den wollen Sie doch nicht treffen. — Zur Be- 
steuerung des Saccharins würden sich nach den Erfahrungen anderer Staaten 
mehr Verkehrsbeschränkungen als Zölle empfehlen. — Die Anträge gehen 
an eine Kommission. 
26. Januar. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Antrag auf 
Änderung des Kommunalwahlverfahrens. 
Abg. Fuchs (Z.) beantragt, die drei Wahlabteilungen sollen nicht 
mehr durch einfache Drittelung gebildet werden, sondern es sollen von der 
Gesamtsumme der Steuern auf die erste Abteilung 5, auf die zweite 4 und 
auf die dritte 3 Zwölftel entfallen; in der ersten Abteilung sollen minde- 
stens 10 und in der zweiten mindesten 20 Proz. der Gesamtzahl der Wähler
	        
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