Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 18. 21.) 79
stellen. Wir wissen uns in dieser Auffassung der Politik der Sammlung
und der mit derselben zu verfolgenden Zwecke einig mit denjenigen unserer
Freunde, welche den Aufruf unterzeichnen.
Die Vertreter des wirtschaftlichen Liberalismus erlassen folgenden
Gegenaufruf:
Der Zeitpunkt der Reichstagswahlen ist nahegerückt. Die Wahlen
werden — wie über andere wichtige Fragen — über die zukünftige Gestal-
tung der Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches entscheiden. Die Erfüllung
agrarischer Sonderforderungen zieht notwendigerweise eine Verteuerung der
Lebenshaltung der breiten Schichten des Volkes nach sich. Hierdurch würde
die Konsumfähigkeit Deutschlands geschwächt und nicht nur Industrie und
Handel, sondern auch die Landwirtschaft beeinträchtigt werden. Wenn auch
einzelnen Produktionszweigen durch weitere Erhöhung der Schutzzölle und
den Ausschluß des auswärtigen Wettbewerbes die Möglichkeit gegeben wäre,
sich teilweise schadlos zu halten, so würden doch die arbeitenden Klassen
und das Erwerbsleben in seiner Gesamtheit, insbesondere die Exportindustrie
auf allen Märkten der Welt, schwer darunter zu leiden haben. Deutsch-
lands wachsende Bevölkerung bedarf im Interesse aller Produktionszweige
der Erhaltung und Ausdehnung der heimischen Industrie, die exportfähig
bleiben muß, soll dem Aufschwunge der letzten Jahrzehnte nicht ein ver-
hängnisvoller Rückschritt folgen. Nur Handelsverträge von langer Dauer
mit gegenseitiger Bindung der Tarifsätze können jene Stabilität gewähr-
leisten, die für die gesunde Entwickelung unseres nationalen Wirtschafts-
lebens unerläßlich ist. Durch das Recht der Meistbegünstigung muß der
deutsche Export dagegen geschützt werden, daß ihm durch Bevorzugung
anderer Nationen der Mitbewerb nicht erschwert oder unmöglich gemacht
wird. Deshalb halten wir fest an der Handelspolitik der letzten Jahre,
deren Fortführung und Ausbau wir erstreben. Wir wollen die Förderung
der gesamten nationalen Arbeit, nicht die Bevorzugung weniger auf Kosten
der Allgemeinheit. Wer Deutschlands wirtschaftliche und politische Macht-
stellung erhalten und erhöht wissen will, der sorge an seinem Teile dafür,
daß aus den kommenden Wahlen ein Reichstag hervorgehe, der die Zu-
mutungen einer unter dem irreführenden Schlagworte der „Sammlungs-
politik“ auftretenden einseitigen Wirtschaftspolitik zurückweist und ein volles
Verständnis für die Bedeutung und die Tragweite einer wahrhaft natio-
nalen Wirtschaftspolitik besitzt.
18. März. Fast alle Tageszeitungen bringen Erinnerungs-
artikel an den Barrikadenkampf und die Revolution von 1848.
(Vgl. Max Lenz, 1848. Preuß. Jahrbücher Bd. 91 und K. Frentzel,
Deutsche Rundschau, Jahrg. 1898, März.)
21. März. Der Reichstag genehmigt einstimmig folgende
Resolutionen über die Versorgung der Militärinvaliden:
1. Den Reichskanzler zu ersuchen, die Mittel, welche zur Gewährung
der Beihilfen von 120 Mark an alle, nach dem Gesetz vom 22. Mai 1895
Artikel 3 als Anwärter anerkannten Veteranen fehlen, durch einen Nach-
tragsetat für das Rechnungsjahr 1898 nachzufordern. (Antrag der Budget-
kommission.)
2. Den Reichskanzler zu ersuchen, dem Reichstage baldthunlichst einen
Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen, unter Berücksichtigung der gestei-
gerten Kosten der Lebenshaltung, den berechtigten Wünschen der Militär-
invaliden, insbesondere auch in Bezug auf die Versorgung der Witwen