Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

82 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 23./26.) 
für unsere Stellungnahme derjenigen Regierung zuschreiben, welche durch 
den Mund des Vize-Präsidenten des Staatsministeriums einem Teil der 
Bevölkerung Preußens den Krieg erklärt hat. Wir können es nicht als 
einen Zufall auffassen, daß in dem Augenblick, wo so große Anforderungen 
an die Bevölkerung gestellt werden, im Abgeordnetenhause ein Hundert- 
millionenfonds verlangt wird mit dem ausgesprochenen Zweck, die polnische 
Bevölkerung in eine wirtschaftlich schlechtere Lage zu bringen. Einer solchen 
Stellungnahme gegenüber können wir nichts anderes thun, als die Vorlage 
ablehnen, gerade weil der preußische Finanzminister unsere Stellungnahme 
zur Flottenvorlage zu bemängeln unternahm. Das ist die Antwort darauf. 
Abg. Götz von Olenhusen (b. k. F.): Wir Welfen erkennen die Not- 
wendigkeit einer Vermehrung der Flotte an und werden innerhalb des 
Etats dafür eintreten. Wir können aber die übrigen Bestimmungen des 
Gesetzes, die Bindung des Reichstags, nicht annehmen und werden daher 
gegen die Vorlage stimmen. Abg. Schädler (Z.): Eine Minderheit des 
Zentrums werde gegen das Gesetz stimmen, weil sie nicht Bewilligungen 
für längere Zeit machen wollte und von der Annahme dieser Vorlage 
weitere Forderungen fürchtete. 
Staatssekr. Graf Posadowsky-Wehner weist die Angriffe des 
Abg. Fürst Radziwill auf das preuß. Ministerium zurück. 
Am folgenden Tage wendet sich Abg. Richter (fr. Vp.) gegen die 
Vorlage. Es handelt sich um eine dauernde organische Einrichtung, um 
die Festlegung des Etats für den Reichstag. Dem Reichstage wird an- 
gesonnen, sein Etatsrecht zu binden, wie es keinem Parlament der Welt 
jemals angesonnen worden ist. Wenn es sich darum handelt, dem Aus- 
land gegenüber die Einmütigkeit des Reichstages und der Regierungen zu 
bekunden, warum denn nur in diesem Jahre, bei diesem Reichstage, der 
nur noch eine kurze Lebensdauer hat? Die Gründe meiner Partei habe 
ich bei der ersten Lesung ausführlich dargelegt. Ich kann mich jetzt auf 
eine Reihe von Bemerkungen beschränken. Man überschätzt die Bedeutung 
der Marine für das Reich, und man unterschätzt das, was gegenwärtig 
schon die Flotte für das Reich bedeutet. Man sollte glauben, daß es sich 
darum handelt, eine Flotte erst zu schaffen. Aber sind wir nicht seit länger 
als einem Menschenalter dabei, die Flotte zu verstärken?" Herr Rickert 
geht bis auf 1848 zurück. Stehen wir denn auf dem Standpunkt von 
1848 ? Haben wir nicht 2 Milliarden auf die Flotte verwandt? Das 
übersteigt die kühnsten Träume, die man damals und die man 1861 hatte. 
Die Rede meines Freundes Schultze-Delitzsch vom Jahre 1861 im National- 
verein hatte zur Folge, daß damals 1300000 Mk. zum Bau von Kanonen- 
booten gesammelt wurden. Wir haben jetzt 53 Schiffe; dazu sollen 16 
hinzukommen. Und da stellt man es so hin, als ob diese Vermehrung 
entscheidend sei für die Beteiligung Deutschlands am Seeverkehr, für die 
Verstärkung der Seegewalt Deutschlands. Wir bestreiten, daß in dem 
Maße, wie es geschehen soll, ein Bedürfnis zur Erhöhung des Flotten- 
bestandes vorhanden ist. Herr von Hertling meinte, die heimische Schlacht- 
flotte sei der Hintergrund für die Auslandsschiffe. Es wird uns aber vor- 
geführt, daß der Wert der heimischen Schlachtflotte vermindert wird, wenn 
man auch nur ein Schiff aus der Organisation herausnimmt. Die Handels- 
kammern und andere Korporationen haben sich für die Vermehrung der 
Auslandsschiffe ins Zeug gelegt. Was will die Vorlage an Auslands- 
schiffen haben: 3 große und 10 kleine Kreuzer. Diese 13 Kreuzer sind 
sämtlich heute schon vorhanden oder befinden sich im Bau. Diese Schiffe 
sind nicht etwa alte Kasten, wie man hin und wieder gesagt hat. Es sind 
nur 3 darunter, die vor 1903 eines Ersatzes bedürfen; die anderen brauchen
	        
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