Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

14 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12.,13.)
 
Vorsprunge dadurch, daß durch die Freiwilligen die Aushebungsziffer er- 
heblich vergrößert wird. Frankreich muß ferner aus seiner Armee die 
Truppen für die Kolonien stellen. Seit 1889 sind im Vergleich zu dem 
Jahrzehnt vorher für das Heer 1688 und für die Marine 361 Mlllionen 
mehr verausgabt worden. Die Kulturaufgaben leiden darunter. Für die 
Verhütung der Ueberschwemmungen, welche Tausende von Familien jährlich 
in ihrem Nahrungsstande gefährden, hat aber der Staat die erforderlichen 
wenigen Millionen nicht übrig. Die Deutschen sind nicht das reiche Volk, 
als welches die Militärschwärmer sie darstellen. .  .  . Der immer dringender 
werdende Kampf um das Dasein zwingt alle Bevölkerungsklassen, darauf 
Wert zu legen, daß die intelligenten Kräfte nicht zu lange durch den Mili- 
tarismus in Anspruch genommen werden. Die Landwirte haben auf ihren 
Versammlungen die dümmsten Arbeiter für die besten erklärt;: aber der 
Militärverwaltung wird ein intelligenter Industriearbeiter wahrscheinlich 
lieber sein als ein dummer Bauernjunge. Wir wollen die Kinder von 
Jugend auf militärisch erzogen wissen, damit die eigentliche Dienstzeit ver- 
kürzt werden kann. Für diese Ideen trat früher auch das Bürgertum ein, 
z. B. der deutsche Nationalverein unter Borsitz des Herrn v. Bennigsen noch 
im Jahre 1865. Referent war damals Herr Blum-Heidelberg. Redner 
verweist darauf, daß auch aktive Militärs für ein Volksheer eintreten, so 
Oberst v. Bernhardi, der im Februar v. J. in einem Vortrage neben der 
eigentlichen Aktions-Armee die allgemeine Volksbewaffnung verlangt hat. 
Als Vorbereitung dafür schlägt er die allgemeine militärische Jugenderzieh- 
ung vor. Wie vortrefflich die Miliz sich bewährt, das sieht man in der 
Schweiz. Die Leistungsfähigkeit der dortigen Miliz erkennen selbst deutsche 
Offiziere an. Was das kleine amerikanische stehende Heer und die sich daran 
anschließende Miliz im Kriege gegen Spanien geleistet hat. ist noch in aller 
Gedächtnis. Abg. Frhr. v. Hertling (Z): Wir werden die Vorlage sach- 
lich prüfen und nicht nach parteitaktischen Gesichtspunkten. Wenn wir aber 
auch die Interessen der nationalen Verteidigung über die Parteiforderungen 
stellen, so muß ich doch sagen, daß die Einbringung der Vorlage uns über- 
rascht hat. Wir waren der Meinung, daß, nachdem die Seemacht eine so 
außerordentliche Steigerung erfahren hat, man nicht mit solchen erheblichen 
Forderungen für die Landmacht kommen würde. Zwischen dem Wortlaut 
der damaligen Erklärung des Kriegeministers und dem Inhalt der Vorlage 
liegt kein Widerspruch vor; aber der Eindruck der Erklärung des Kriege- 
ministers war ein derartiger, daß von starken Mehrforderungen zunächst 
abgesehen werden würde. Und warum kommt man im gegenwärtigen 
Augenblicke mit einer solchen Mehrforderung? Unsere eigene Politik ist 
eine durchaus friedliche, unsere Verhältnisse zu den Nachbarstaaten geben 
keinen Anlaß zu Befürchtungen. Herr v. Stumm hat auf den Dreibund 
hingewiesen. Was Oesterreich betrifft, so kann man dem befreundeten Staate 
nur die lebhaftesten Sympathien aussprechen in der Hoffnung, daß es dem 
alten Kaiser gelingen möge, die inneren Wirren zu überwinden. Die 
finanziellen Schwierigkeiten Italiens sind nur die Folgen der dort bestehen- 
den politischen und sozialen Schwierigkeiten, sowie der ungünstigen wirt- 
schaftlichen Verhältnisse. Das offizielle Italien müßte sich vollständig von 
den revolutionären Elementen trennen, die dort eine große Rolle gespielt 
haben. (Sehr richtig! im Zentrum.) Die konservativen Elemente müßten 
herangezogen werden und namentlich müßte in irgend einer Weise eine 
Lösung der römischen Frage gefunden werden. (Sehr richtig! im Zentrum.) 
So gern ich das jugendliche Gefühl, welches in der Kundgebung des russi- 
schen Kaisers liegt, mit Freuden begrüße, der mit dem Palmenzweig an 
des Jahrhunderts Neige steht, so ist das Bild doch zu schön, als daß man
	        
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