Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Dentsqhe Reit ind seine einzelnen Glieder. (Dezember 3.) 377 
3. Dezember. (Reichstag.) Drei Interpellationen über die 
Vorgänge in Zabern. 
Die Interpellation der Fortschrittlichen Volkspartei lautet: „Ist der 
Herr Reichskanzler bereit, Auskunft zu geben über die durch die Presse bekannt 
gewordenen Aeußerungen eines Offiziers in Zabern und die dadurch ver- 
anlaßten weiteren Vorgänge?“ 
Die sozialdemokratische Interpellation hat folgenden Wortlaut: „Was 
gedenkt der Herr Reichskanzler gegenüber dem Verhalten des Leutnants in 
der Garnison Zabern zu tun, der die elsaß-lothringische Bevölkerung schwer 
beleidigt und ferner Aeußerungen getan hat, die geeignet sind, unsere Be- 
ziehungen zu Frankreich zu beeinträchtigen?“ 
Schließlich liegt noch folgende Interpellation der Elsässer vor: „Was 
gedenkt der Herr Reichskanzler zu tun, um die elsaß-lothringischen Soldaten 
und die Bevölkerung Elsaß-Lothringens vor Beleidigungen zu schützen, wie sie 
sich ein Offizier des Infanterieregiments Nr. 99 in Zabern ihnen gegen- 
über hat zuschulden kommen lassen? Hält der Herr Reichskanzler die Strafe, 
die über diesen Offizier verhängt worden ist, für eine Sühne, die geeignet 
ist, der Wiederholung solcher Fälle vorzubeugen?“ 
Zur Begründung der ersten Interpellation spricht Abg. Röser (Els.L.). 
Die ganze Affäre ist nur entstanden durch falsche militärische Ehrbegriffe, 
die nicht zuließen, ein begangenes Unrecht zeitig wieder gut zu machen. 
Sie ist weiter entstanden durch die Ohnmacht unserer Zivilbehörde, die in- 
folge der unvollkommenen Verfassung in Elsaß-Lothringen und infolge ihrer 
Abhängigkeit von Berlin nicht imstande war, das Land vor derartigen Er- 
schütterungen zu schützen. Sie ist weiter entstanden aus dem Geiste, der 
sich hier in diesem Hause einmal in dem Wunsche geäußert hat, daß ein 
Leutnant mit zehn Mann berechtigt sein soll, dieses hohe Haus auszuräumen. 
Die Vorgänge, wie sie sich in Zabern in den letzten Tagen abgespielt haben, 
sind eines Kulturstaates und der Armee eines Kulturstaates unwürdig. Es 
wäre leicht gewesen, am Anfange der ganzen Sache durch ein geringes 
Entgegenkommen die Affäre aus der Welt zu schaffen. Als die Nachricht 
von der Auslobung der Stechprämien in der Zeitung stand, mußten die 
Elsaß--Lothringer sich verletzt fühlen. Sie wissen ganz genau, daß es zurzeit 
fast in der ganzen Armee und in einem großen Teil Altdeutschlands und 
bei gewissen Altdeutschen im Elsaß Mode geworden ist, die Elsaß-Lothringer 
mit dem Worte „Wackes“ zu bezeichnen. Auch die elsaß--lothringischen 
Reserveoffiziere im Heer haben ihre Kameraden niemals darüber im un- 
klaren gelassen, daß sie in dem Worte „Wackes“ eine Beleidigung erblickten. 
Dieses unserm Dialekt entnommene derbe Schimpfwort muß somit im 
Munde eines Altdeutschen beleidigend klingen. Auch der Leutnant v. Forstner 
mußte sich darüber im klaren sein, denn im 99. Regiment besteht seit dem 
Jahre 1903/04 ein Regimentsbefehl, den der damalige Oberst Jung als 
einen dauernden erlassen hat. Dieser Regimentsbefehl wurde in späteren 
Jahren — mit Bestimmtheit weiß ich es bis zum Jahre 1908 — bei jedem 
Löhnungsappell, also monatlich dreimal, verlesen. Dieser Regimentsbefehl 
hatte folgenden Wortlaut: „Eine Gerichtsverhandlung gibt mir Veranlassung, 
darauf hinzuweisen, daß das Wort „Wackes“ für die Elsaß-Lothringer eine 
Beleidigung bedeutet. Ich verbiete hiermit strengstens den Gebrauch des- 
selben.“ Dieser Regimentsbefehl wurde seither allen neu in das Regiment 
eintretenden Offizieren vorgelegt und trägt auch den Vermerk: „Kenntnis 
genommen. v. Forstner“. Wie jetzt bekannt geworden ist, hat auch der Feld- 
webel seinen Hauptmann wenige Tage vor Veröffentlichung dieser Sache 
auf den fortgesetzten Mißbrauch des Wortes in der Kompagnie aufmerksam
	        
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