380 HNas Neutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 3.)
in den bekannten Keller gebracht, wo die Leute über Nacht eingesperrt
waren. Ein Kind des Mannes liegt vom Schrecken krank darnieder. Ein
anderer Mann, den ich ebenfalls persönlich gesprochen habe, ein Arbeiter
Joseph Meyer aus Ottersweiler, einem Nachbarort von Zabern, der in der
Fabrik der Gebrüder Kuhn in Zabern beschäftigt ist, wollte nach Hause
ehen. Er wird verhaftet. Am andern Morgen kommt seine Frau mit
fünf kleinen Kindern, den Mann in Zabern zu suchen. Sie ist zur Kreis-
direktion gegangen und hat gefragt, was sie eigentlich tun solle. Der Ein-
spruch der Zivilbehörde hat ihr aber nichts genützt. Die Leute wurden alle
bis gegen Mittag zurückgehalten und erst dann dem Zivilrichter vorgeführt.
Unter den Verhafteten befand sich weiter ein stud. phil. Märtz. Er wurde auf
dem Wege zum Bahnhof aufgegriffen und über Nacht in die Kaserne ge-
sperrt. Sogar einen kleinen Jungen, der ein Heft holen wollte — 9 Jahre
alt! — hat man ergriffen. Man hat ihn aber gleich wieder laufen lassen; das
sei noch zur Ehre dieser Menschenjäger gesagt. Ein Mann namens Aron hatte
Zahnschmerzen und wollte zur Apotheke gehen, um sich ein Mittel gegen
Zahnsch nerzen zu holen — er wurde über Nacht in die Kaserne gesperrt!
Herr Guillot, der Redakteur des „Zaberner Wochenblatts“, des einzigen
konservativen Blattes im Wahlkreise Zabern, wurde ebenfalls ergriffen auf
einem Gange in die Stadt. In seinem Wochenblatt hat er zwei Tage
später oder in der nächsten Nummer die Verhaftungsszene geschildert, wie
sie ihm zugestoßen ist. Der Maschinist des städtischen Schlachthauses
— Fritsch — wurde ebenfalls eingesperrt; am anderen Morgen war die
Kühlanlage im Schlachthaus warm. Und um allem die Krone aufzusetzen:
der Staatsanwalt Dr. Kleinböhmer wurde verhaftet. Er hat sich zu er-
kennen gegeben und wurde sofort wieder freigelassen. Der Landgerichtsrat
Dr. Kalisch, der aus dem Landgerichtsgebäude von einem Prozeß heraus-
kam, der bis spät abends gedauert hatte, wurde von dem Leutnant ver-
haftet. Zwei andere Landgerichtsräte, die dabei waren, erklärten sich selbst
für verhaftet, wenn ihr Kollege zur Wache müsse. Alle drei wurden erst
auf Verwendung des Herrn Landgerichtspräsidenten am selben Abend wieder
freigelassen, die übrigen Leute hat man aber dabehalten. Man hat sie in
ein nasses Loch in der Kaserne, in einen Kohlenkeller Nr. 40 der Kaserne
— er ist ungefähr 20 Quadratmeter groß, hat keinen Fußboden, keine
Lüftung und keine Heizung — der Reihe nach, wie sie kamen, hinein-
gesperrt, bis das Loch voll war. Es waren achtzehn Personen darin, sie
konnten sich weder setzen noch legen. Sie durften nicht einmal austreten,
sie durften nicht einmal ihr natürliches Bedürfnis draußen verrichten, sie
mußten es in einer Ecke dieses Raumes tun. Gegen 10 Uhr nachts hat man
jedem endlich, als sie schon halb erfroren waren, zwei Decken gebracht, in
die sie sich dann notdürftig einhüllen konnten. Am selben Abend hat man
auch das Postamt militärisch besetzt. Keine Nachricht durfte weder an-
genommen noch herausgegeben werden. Der Vertreter der Zivilbehörde
begab sich sofort zum Obersten und protestierte gegen diese Maßnahmen
des Herrn v. Reuter. Vergeblich, m. H.! Der verhaftete Amtsgerichtsrat
und seine Kollegen erklärten sich zur Vernehmung der verhafteten Personen
bereit. Vergeblich, m. H. Sie wurden abgewiesen. Sogar der Oberst er-
klärte dem Vertreter der Zivilbehörde und dem Staatsanwalt, der ihm über
sein Vorgehen Vorhaltungen machte, er habe nach niemand was zu fragen,
er handle auf höheren Besehl. Am Samstag gegen Mittag um 11 Uhr hat
man die Verhafteten einzeln unter Bedeckung von vier Bajonetten zum
Zivilrichter gebracht, wo sie sofort vernommen und freigelassen wurden.
Am Mittag hat die Zivilbehörde dem Obersten wissen lassen — das ge-
schah im Einverständnis mit dem Ministerium in Straßburg —, daß sie