Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

380 Das Beeutsche Reich und seine einzeluen Glieder. (August 3.) 
nach russischer Zeit dringend drahten. Bitte Ihre Pässe fordern und Schuy 
und Geschäfte amerikanischer Botschaft übergeben." 
Der deutsche Botschafter in Paris an den Reichskanzler 
(1. August 1°% nachm.): „Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob 
Frankreich im Falle eines deutsch-russischen Krieges neutral bleibe, erkläme 
der Ministerpräsident mir, daß Frankreich das tun werde, was seine 
Interessen ihm geböten.“ 
3. August. Die belgische Regierung beantwortet ablehnend 
eine ihr am Tage vorher überreichte Erklärung des deutschen Ge- 
sandten. 
Die Erklärung des Gesandten beruhte auf folgender Anweisung der 
deutschen Regierung: „Der Kaiserlichen Regierung liegen zuverlässige Nach- 
richten vor über den beabsichtigten Aufmarsch französischer Streitträfte an 
der Maasstrecke Givet-Namur. Sie lassen keinen Zweifel über die Absicht 
Frankreichs, durch belgisches Gebiet gegen Deutschland vorzugehen. Die 
Kaiserliche Regierung kann sich der Besorgnis nicht erwehren, daß Belgien, 
trotz besten Willens, nicht imstande sein wird, ohne Hilfe einen französischen 
Vormarsch mit so großer Aussicht auf Erfolg abzuwehren, daß darin eine 
ausreichende Sicherheit gegen die Bedrohung Deutschlands gefunden werden 
kann. Es ist ein Gebot der Selbsterhaltung für Deutschland, dem feindlichen 
Angriff zuvorzukommen. Mit dem größten Bedauern würde es daher die 
deutsche Regierung erfüllen, wenn Belgien einen Akt der Feindseligkei 
gegen sich darin erblicken würde, daß die Maßnahmen seiner Gegner 
Deutschland zwingen, zur Gegenwehr auch seinerseits belgisches Gebiet zu 
betreten. Um jede Mißdeutung auszuschließen, erklärt die Kaiserliche 
Regierung das Folgende: 
1. Deutschland beabsichtigt keinerlei Feindseligkeiten gegen Belgien. 
Ist Belgien gewillt, in dem bevorstehenden Kriege Deutschland gegenuber 
eine wohlwollende Neutralität einzunehmen, so verpflichtet sich die deutsche 
Regierung, beim Friedensschluß Besitzstand und Unabhängigkeit des König- 
reichs im vollen Umfang zu garantieren. 
2. Deutschland verpflichtet sich unter obiger Voraussetzung, das 
Gebiet des Königsreichs wieder zu räumen, sobald der Friede geschlossen ist. 
3. Bei einer freundschaftlichen Haltung Belgiens ist Deutschland 
bereit, im Einvernehmen mit den Königlichen Behörden alle Bedürfnutsse 
seiner Truppen gegen Barzahlung anzukaufen und jeden Schaden zu ersetzen, 
der etwa durch deutsche Truppen verursacht werden könnte. 
Sollte Belgien den deutschen Truppen feindlich entgegentreten, ins- 
besondere ihrem Vorgehen durch Widerstand der Maasbefestigungen oder 
durch Zerstören von Eisenbahnen, Straßen, Tunnein oder sonstigen Kunst- 
bauten, Schwierigkeiten bereiten, so wird Deutschland zu seinem Bedauern 
gezwungen sein, das Königreich als Feind zu betrachten. In diesem Falle 
würde Deutschland dem Königreich gegenüber keine Verpflichtungen über- 
nehmen können, sondern müßte die spatere Regelung des Verhältnisses beider 
Staaten zueinander der Entscheidung der Waffen überlassen. Die Kaiserliche 
Regierung gibt sich der bestimmten Hoffnung hin, daß diese Eventualität 
nicht eintreten, und daß die Königlich belgische Regierung die geeigneten 
Manmnahmen treffen wird, um zu verhindern, daß Vorkommnisse, wie die 
vorstehend erwahnten, sich ereignen. In diesem Falle würden die freund- 
schaftlichen Bande, die beide Nachbarstaaten verbinden, eine weitere und 
dauernde Festigung erfahren. Euer Hochwohlgeboren wollen heute abend 
8 Uhr der Königlich belgischen Regierung hiervon streng vertraulich Mit-
	        
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