44 Das Beentsche Reich und seine einfelnen Glieder. (Januar 20.)
schieden auch das Recht in Australien, England und Frankreich ist, nirgends
ist diese Frage gelöst worden. Diese Erwägungen haben mich veranlaßt,
in ein eingehendes wissenschaftliches Studium aller dieser Fragen ein-
zutreten, der historischen Entwicklung bei uns und allen anderen Kultur-
staaten, der praktischen Konsequenzen, die sich aus dem Koalitionsrecht in
den einzelnen Staaten ergeben haben, und der Maßnahmen, die man an-
gewandt hat, um etwaigen Auswüchsen entgegenzutreten. Wir sind ein-
getreten in eine eingehende Erörterung, namentlich der Judikatur, wie sie
sich bei uns aus dem betreffenden Teile der Gewerbeordnung entwickelt
hat, eine Entwicklung, die zum Teil eine andere gewesen ist, als man es
angenommen hat. Wenn die Deukschrift in Ihren Händen sein wird, ich
boffe. daß es bald der Fall sein wird, dann werden wir vielleicht in der
age sein, über dieses Problem des Koalitionsrechtes hier im Hohen Hause
verhandeln zu können. Unmittelbar damit zusammenhängend ist wohl eine
zweite Frage, die meiner Meinung nach bisher noch von keinem Redner
gestreift worden ist, welche aber in der letzten Zeit sehr oft in der Presse leb-
haft erörtert worden ist; das ist die Frage eines Reichseinigungsamtes.
Auch die Lösung dieser Frage hängt wiederum ab von der Frage, wie das
Recht der Berufsvereine zu gestalten ist. Ein solches Amt hat nur dann
Zweck, wenn wir einen Verhandlungszwang haben, und es in der Lage
ist, seine Entscheidung zu vollstrecken. Solange wir diese Möglichkeit nicht
haben, ist es zweckmäßig, den jetzigen Zustand aufrechtzuerhalten. Es ist
da zweckmäßiger, unter Mitwirkung der Behörden oder des Staates auf
Anruf der Beteiligten paritätische Schiedsgerichte zu berufen. Die Durch-
führbarkeit einer durch das Gesetz vollstreckbaren Entscheidung hängt von
dem Vertrauen ab, das beide Teile zu dem Schiedsgericht haben. Das
wird nur vorhanden sein, wenn sich beide über die Richter geeinigt haben,
die entscheiden sollen. Ich meine deshalb, daß wir es auch hier zunächst
bei der bisherigen Regelung lassen. Ich möchte aber noch erwähnen, daß
ich, soweit ich dazu in der Lage bin, auch diese Frage so weiter zu fördern
geneigt bin, wie ich es bisher getan habe. Ich will da an einen typischen
Fall anknüpfen, das ist die kürzlich zustande gekommene Einigung zwischen
den Krankenkassen und den Aerzten. Es scheint, und ich hoffe, daß es
wirklich gelungen ist, hier im Wege des Vertrags von Organisation zu
Organisation eine Aufgabe zu lösen, bei der die Gesetzgebung bisher ver-
sagt hat, und wahrscheinlich auch bis auf weiteres versagt hätte. (Lebhafter
Beifall und Sehr richtig!) Charakteristisch hierbei ist, daß alle Streitfragen
in die Hände von paritätischen Schiedsgerichten unter Vorsitz von Beamten
kommen, und daß, wenn das Abkommen gekündigt wird, sofort auf ein
neues Einvernehmen hinzuwirken ist. Ich freue mich, daß es mir gelungen
ist, diesen Streit noch rechtzeitig beizulegen. Die Organisationen machen
nicht halt bei den Beziehungen der gewerblichen Arbeitnehmer zu den
Arbeitgebern. Sie greifen auch auf immer weitere Gebiete über. (Sehr
richtig und Beifall.) Auf sozialem Gebiete sind immer neue Wege geöffnet
worden, und es haben sich neue Ziele gezeigt, die zu verfolgen unsere
selbstverständliche Pflicht ist. Ebenso selbstverständlich ist es aber, sich zu
hüten, sich auf diesem Gebiete einem gedankenlosen Vorwärtstreiben hin-
zugeben. (Beifall und Sehr richtig! r., Widerspruch bei den Sd.) Das be-
deutet keinen Abbau unserer Sozialpolitik. Im Gegenteil, ich weiß mich
da mit allen vernünftigen Vertretern unserer Arbeitgeber einig, daß eine
gebildete und gesellschaftlich gute Arbeiterklasse eine der Säulen ist, auf der
unsere nationale Wohlsapr ruht. Ich bin mir klar, und man wird mir
zustimmen, daß nur auf dieser Grundlage die Pflege der sittlichen und
vaterländischen Ideale möglich ist, die ein Volk beseelen muß. Eine ver-