Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Eroßbritannien. (Jan. 5.) 143 
sichten unserer Kriegsziele sowie über unsere Friedensbedingungen besteht. 
Was ich daher heute ihnen und der Welt sage, hat Anspruch darauf, nicht 
allein als Auffassung der Regierung, sondern der Nation und des ganzen 
Reiches zu gelten. 
Wir führen keinen Angriffskrieg gegen das deutsche Volk, das von seinen 
Führern überzeugt wurde, es kämpfe einen Verteidigungskrieg gegen eine 
Vereinigung neidischer Völker, die die Zerstörung Deutschlands beabsichtigen. 
Das ist nicht der Fall. Eine Zerstörung Deutschlands oder des deutschen 
Volkes war niemals unser Kriegsziel vom ersten Tage des Krieges an bis. 
heute. Wir wurden tatsächlich überaus widerstrebend und äußerst unvor- 
bereitet für die schreckliche Feuerprobe gezwungen, in diesen Krieg einzu- 
treten, zur Selbstverteidigung, zur Verteidigung des vergewaltigten öffent- 
lichen Rechtes in Europa und zur Rettung der feierlichen Vertragsverpflich- 
tungen, auf welchen die politische Struktur Europas gegründet ist. Deutschland 
dagegen hat mit seinem Einfall in Belgien dieses rücksichtslos zu Boden 
getreten. Wir mußten entweder in den Kampf eintreten oder beiseite stehen, 
um dem Untergang Europas und dem Triumph der rohen Macht über das 
öffentliche Recht und die internationale Gerechtigkeit zuzuschauen. Es war 
lediglich das Bewußtsein dieser schrecklichen Alternative, das das britische 
Volk in den Krieg gezwungen hat. Das engl. Volk hat sich niemals von 
dieser ursprünglichen Haltung getrennt, es hat niemals eine Trennung der 
deutschen Stämme oder die Auflösung des deutschen Staates oder Landes 
beabsichtigt. Deutschland hatte eine große Stellung in der Welt. Es ist 
nicht unser Wunsch oder unsere Absicht, diese Stellung in Zukunft in Frage 
zu stellen oder zu zerstören, sondern Deutschland von seinen Hoffnungen 
und Plänen einer militärischen Beherrschung abzulenken, damit es alle seine 
Kräfte den großen gemeinnützigen Aufgaben der Welt widme. Ebenso 
kämpfen mwir nicht, um Oesterreich-Ungarn zu zerstören oder die Türkei ihrer 
Hauptstadt oder ihrer reichen Besitzungen in Kleinasien und Thrazien, die 
vorwiegend von der türk. Rasse bewohnt sind, zu berauben. Ebensowenig 
sind wir in diesen Krieg eingetreten, um die Verfassung des deutschen Kaiser- 
reiches abzuändern und zu zerstören, obwohl wir eine solche militärauto- 
kratische Konstitution im 20. Jahrhundert für einen gefährlichen Anachronis- 
mus halten. Es ist unsere Ansicht, daß in der Einsetzung einer wahrhaft 
demokratischen Verfassung durch Deutschland der überzeugendste Beweis. 
liegen würde, daß der alte Geist militärischer Vorherrschaft in diesem Kriege 
tatsächlich erstorben sei, und es würde uns viel leichter machen, mit Deutsch- 
land einen weitherzigen demokratischen Frieden zu schließen. Das jedoch 
ist eine Sache, die das deutsche Volk zu entscheiden hat. 
Es ist nun über ein Jahr her, daß der Präsident der damals noch 
neutralen Vereinigten Staaten den Kriegführenden die Anregung gegeben 
hat, daß jede Partei eine unzweideutige Erklärung der Ziele, für die sie 
kämpfe, abgeben solle. Wir und unsere Verbündeten haben mit unserer Note 
am 10. Jan. 1917 darauf geantwortet. Die Mittelmächte gaben auf den 
Appell des Präsidenten keine Antwort, und trotz vielfachen Drängens seitens. 
der Gegner und der Neutralen bewahrten sie vollständiges Stillschweigen 
über ihre Kriegsziele. Sogar über eine Kernfrage, über ihre Absichten 
betr. Belgien, haben sie einhellig abgelehnt, irgendeine ehrliche Angabe zu 
machen. Graf Czernin machte in seiner Erklärung vom 25. Dez. 1917, die 
er im Namen Oesterreich-Ungarns und seiner Verbündeten abgab, eine 
Aeußerung gewisser Art. Diese ist jedoch bedauerlich unbestimmt. Man 
sogt uns, daß es nicht in der Absicht der Mittelmächte liege, sich gewalt- 
sam irgendwelche besetzte Gebiete anzueignen oder irgendeine Nation, die 
während des Krieges ihre politische Unabhängigkeit verloren hat, dieser zu.
	        
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