Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

174 Greßbritansien. (April 9.—16.), 
9.—16. April. (Unterhaus.) Mannschaftsersatz, militär. Lage. 
Premierminister Lloyd George eröffnet die Beratung der Regierungs- 
vorlage betr. den Mannschaftsersatz mit einer eingehenden Darlegung 
der Lage an der Westfront, wobei er ausführt: Wir sind jetzt in die kritischeste 
Phase dieses schrecklichen Krieges getreten. Das Schicksal des Reiches, 
Europas, der Freiheit der ganzen Welt hängt von dem Erfolg ab, mit dem 
wir dem allerletzten dieser Angriffe Widerstand leisten und ihm begegnen. 
Die Vorschläge der Regierung verlangen die äußersten Opfer seitens breiter 
Klassen der Bevölkerung. Nichts würde sie rechtfertigen als die äußerste 
Notwendigkeit und die Tatsache, daß wir für alles kämpfen was das Wesent- 
liche und das Heiligste unseres nationalen Lebens ausmacht. L. G. be- 
schäftigt sich dann mit den Umständen, die zu der gegenwärtigen militäri- 
schen Lage geführt haben, und sagt: Trotz der schweren Verluste im Jahre 1917 
war unsere Armee am 1. Jan. 1918 beträchtlich stärker als am 1. Jan. 1917. 
Bis Okt. oder Nov. 1917 verhielt sich die Kampfstärke der Deutschen zu der 
der Alliierten wie 2 zu 3. Dann kam der Zusammenbruch in Rußland. 
Obschon eine sehr beträchtliche Anzahl deutscher Divisionen vom Osten nach 
Westen gebracht wurde und trotz einiger österr. Unterstützung war, als die 
Schlacht begann, die Kampfkraft der gesamten deutschen Armee an der West- 
front nicht ganz gleich der gesamten Kampfstärke der Alliierten. An Infanterie 
waren die Deutschen ein wenig schwächer, an Artillerie schwächer, an Kavallerie 
beträchtlich schwächer und zweifellos schwächer in der Luft. Die Deutschen 
hatten indessen einen oder zwei große Vorteile: Sie hatten den Anfangs- 
vorteil des Angreifers, sie kannten Ausdehnung und Zeit des Angriffes. 
Der Feind hatte auch die Vorteile des einheitlichen Oberbefehls und 
des trockenen nebligen Wetters. Zu einer Zeit war die Lage kritisch. Der 
Feind brach zwischen unserer dritten und fünften Armee durch. Aber durch 
das glänzende Verhalten unserer Truppen wurde die Lage wiederhergestellt. 
Unsere Truppen zogen sich in vollkommener Ordnung zurück, stellten die 
Verbindung zwischen den beiden Armeen wieder her und vereitelten die 
Absicht des Feindes. Wieder einmal rettete der Britenmut des engl. Sol- 
daten, der von einer Niederlage nichts wissen wollte, Europa. L. G. er- 
örtert dann die Umstände, welche den Rückzug der fünften Armee herbei- 
geführt haben. Das Kriegskabinett habe es für notwendig gehalten, General 
Gough (der bish. Chef der 5. Armee) vom Felddienst zurückzuberufen, bis 
die Tatsachen geprüft seien. Weiter zollt L. G. warme Anerkennung der 
Schnelligkeit, mit der die franz. Reserven eingriffen. Das war eines der 
bemerkenswertesten Ergebnisse der Organisation im Kriege, und durch die 
gemeinsamen Anstrengungen unserer Leute und den loyalen Beistand der 
Franzosen war die Lage für den Augenblick wiederhergestellt. Die Haupt- 
absicht des Feindes, die brit. und franz. Armee zu trennen, ist bisher miß- 
glückt. Wir würden uns aber in einem verbrecherischen großen und ver- 
hängnisvollen Irrtum befinden, wenn wir die Schwere seiner Absicht unter- 
schätzten. Das Kabinett hat alle Schritte unternommen, um Verstärkungen 
heranzubringen, und eine so große Zahl von Truppen hat noch nie den 
Kanal in so kurzer Zeit überschritten. Nachdem L. G. dem Vertrauen Aus- 
druck gegeben hatte, daß die engl. Truppen, Generale und Gemeine, für den 
nächsten Zusammenstoß in voller Bereitschaft sein würden, kommt er auf 
die Hilfe zu sprechen, die Amerika geleistet hat. Nachdem die Schlacht be- 
gonnen hatte, waren nicht nur die Regierungen, sondern auch die Befehls- 
haber im Felde so überzeugt von der Notwendigkeit weiterer strategischer 
Einheitlichkeit, daß sie der Ernennung Fochs zum obersten strategischen Leiter 
aller alliierter Armeen an der Westfront zustimmten. Foch sei einer der 
glänzendsten europäischen Soldaten. L. G. macht sich dann über die Be-
	        
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