182 Greßbritannien. (Mai 16.)
Regierung über das Vorgefallene unterrichtet worden? Hat der Premier—
minister das Ausw. Amt davon in Kenntnis gesetzt? Warum wurden die
Unterhandlungen abgebrochen? Geschah das allein wegen der Gebietsfrage?
Forderte Frankreich nicht bloß Elsaß-Lothringen, sondern auch Wieder-
herstellung der Grenzen von 1814 oder gar von 17907
Der Staatssekretär des Ausw. Balfour führt in der Antwort u. a.
aus: Der Brief, um den es sich handelt, war ein Schreiben Kaiser Karls
an einen Verwandten, das dieser dem Präsidenten der franz. Republik und
dem franz. Ministerpräsidenten überbrachte unter der Bedingung, daß der
Brief streng geheim gehalten und ohne Zustimmung keinem andern als dem
Premierminister und dem Herrscher unseres Landes, also auch nicht dem
Kabinett vorgelegt würde. Ich selbst war damals in Amerika. So wenig
wie ich wurde damals Präsident Wilson über den Brief unterrichtet, was
sicher nicht aus Mangel an Vertrauen zu der amerik. Regierung geschah.
Die Haltung der brit. Regierung zur Stockholmer Konferenz stand in keinem
Zusammenhang mit dem Briefe Kaiser Karls oder mit Verhandlungen oder
Besprechungen darüber. R. hat gefragt, weshalb die Verhandlungen zu
keinem Ergebnis geführt haben und ob sie etwa an Frankreichs Gebiets-
forderungen gescheitert seien. R. hatte dabei den Besuch Doumergues beim
Zaren zu Anfang 1917 im Auge. Dieses größere Elsaß ist nie das Kriegsziel
des Verbandes gewesen. Der Besuch Doumergues und seine Besprechungen
mit dem Zaren kamen erst viel später zur Kenntnis der engl. Regierung
und hatten keine internationale Bedeutung, binden also die engl. Regierung
nicht. Diese hat auch nie zu solchen Forderungen ermuntert; sie hätte sie
auch niemals ernstlich in Erwägung gezogen. Ebensowenig glaube ich, daß
sie jemals einen Punkt im Programm der auswärtigen Politik der franz.
Regierung gebildet haben. (Hier wirft Outhwaite ein, es handle sich nicht
um Doumergues Abmachung, sondern um die Pressemeldung, daß Poincaré
auf Kaiser Karls Brief eine Ausdehnung des franz. Gebiets in der an-
gegebenen Richtung gefordert habe.) Die Besprechungen sind nicht infolge
einer solchen Forderung abgebrochen worden. Vielleicht werden wir nie-
mals erfahren, von welchen Beweggründen Czernin, Kaiser Karl und der
Deutsche Kaiser geleitet wurden. Ich neige der Auffassung zu, daß wir es
hier mit einem Teil der Friedensoffensive zu tun hatten. Eine der Par-
teien, die tatsächlich keinen Frieden wünschte, machte Friedensvorschläge, um
ihre Gegner zu entzweien. Wie Clemenceau dargelegt hat, wollte man den
Anschein erwecken, als ob der ganze Krieg geführt würde, damit Frankreich
Elsaß-Lothringen bekäme und Italien nichts. Wenn man es mit Leuten zu
tun hat, die so zynisch auftreten wie die Mittelmächte, ist ein Gegenangriff
beinahe notwendig, und Clemenceaus Gegenangriff scheint denn auch vollen
Erfolg gehabt zu haben in dem Sinne, daß er aufs deutllichste die Beweg-
gründe, aus denen heraus die Diplomatie der Mittelmächte handelte, bloß-
gelegt hat. Die Mittelmächte haben bei ihren sog. Friedensbemühungen nie-
mals den Frieden im Auge gehabt, sondern die Spaltung der Gegner. Die
deutschen Regierungskreise haben niemals die Möglichkeit dessen erwogen,
was wir als einen rechtschaffenen Frieden ansehen würden, einen Frieden,
der die Freiheit der Welt verbürgt, indem wir auch denen die Freiheit
sichern, die von Deutschlands Oberherrschaft bedroht werden. Die ganze
Frage ist von einem franz. Kammerausschuß mit besserer Kenntnis der Tat-
sachen, als ich sie besitze, genau untersucht worden. Der Ausschuß ist dabeie
zu dem Schlusse gelangt, daß Kaiser Karls Brief keine befriedigende Grund-
lage für einen ehrenvollen Frieden bildete. Es kann sein, daß Beweggründe,
die außerhalb der juristischen Prüfung der Tatsachen liegen, zu diesem Ur-
teil geführt haben. Aber auch wenn der Ausschuß Voreingenommenheit ge-