190 Großbritansien. (Juni 20.)
Mai (s. S. 184 f.) erfolgte Entdeckung der unseligen und furchtbaren Ver-
schwörung der Sinnfeinführer mit dem Feinde. Das andere große Ereignis,
das die Lage änderte, war das Vorgehen des röm. kathol. Klerus, der ge-
meinsam den Widerstand gegen die Dienstpflicht anriet. Das war eine
direkte Herausforderung der Oberhoheit des Reiches in Angelegenheiten,
in denen es noch nie in Frage gezogen worden war, daß das Reichs-
parlament die höchste Macht habe. Unter diesen Umständen war es die
Pflicht der Regierung, mit den Tatsachen zu rechnen und ihre Politik da-
nach einzurichten. Die Persönlichkeiten, die deportiert worden sind, konnten
nicht vor den Richter gebracht werden, ohne dem Feinde die Wege anzu-
geben, auf denen die Regierung ihrem Vorgehen auf die Spur gekommen
war. Aber wenn einer von ihnen unschuldig war, so hatte er das Recht,
Berufung einzulegen. Diese Deportationen haben die Lage in Irland
wesentlich erleichtert, und sogar die nationalistischen Abgeordneten teiten
dieses Gefühl der Erleichterung. Zum Schluß teilt Lord C. mit, daß mit
Rücksicht auf die veränderte Lage in Irland die Regierung genötigt sei,
auf ihre Homerule-Politik zu verzichten. Falle aber Homerule, so
falle auch die allgemeine Wehroflicht. Er hoffe aber, daß die Werbung
von Freiwilligen, zu der man jetzt (s. S. 186 f.) zurückkehre, sowohl bei den
Nationalisten wie bei der Geistlichkeit Unterstützung finden werde.
Ueber die weiteren Pläne der engl. Regierung zur Lösung der ir.
Frage meldet der Berichterstatter des „Temps“ (am 22.) aus London:
Die Aufgabe des Homeruleplanes soll die Vorlage eines großartigen Planes
zur Folge haben, der aus nichts Geringerem besteht, als in der Umbildung
der Vereinigten Königreiche von Großbritannien und Irland in einen Bundes-
staat, in einen Verband der britischen Inseln. Dieser Plan soll vor dem
Herbst völlig ausgearbeitet werden. Ein Ausschuß der beiden Häuser, der
Vertreter aller politischen Parteien umfaßt, hat sich bereits gebildet, und
wird in nächster Zeit von Lloyd George empfangen werden, dem er die
Vorteile einer Umbildung des Königreichs auf föderativer Grundlage dar-
legen wird. Es sollen bei dieser Neuregelung der Verhältnisse England,
Wales, Schottland und Irland auf gleichen Fuß gestellt werden. Man ist
der Ansicht, daß Lloyd George diesem Plane günstig gesinnt ist.
20. Juni. (Unterhaus.) Friedensfrage.
Bei der zweiten Lesung der Vorlage über die konsolidierte Staatsschuld
Volk wünscht von der Regierung die Zusicherung zu erhalten, daß sie keine
Gelegenheit, die Kriegsprobleme auf diplomatischem Wege durch Ueberein-
künfte zu lösen, vorübergehen lassen wird. Es gibt ferner der Meinung
Ausdruck, daß die Geheimverträge mit den alliierten Regierungen einer
Revision unterzogen werden sollen, daß sie in ihrer gegenwärtigen Gestalt
mit den Zielen unvereinbar sind, für die England in den Rrieg eingetreten
ist, und daß sie deshalb ein Hindernis für einen demokratischen Frieden
bilden. — In seiner Begründung führt M. aus, das Volk sei durch die
Entwicklung der Dinge besorgt. Es sei berechtigt, von der Regierung eine
erneute Darstellung ihrer Kriegsziele und ihrer Anschauungen über die
Aussichten, sie zu verwirklichen, zu verlangen. In allen kriegführenden
Ländern sei eine immer stärker werdende Bewegung zugunsten von ver-
nünftigen Friedensbedingungen vorhanden, um dem Krieg ein Ende zu
machen. — Philipp Snowden (Soz.) unterstützt den Antrag in einer langen
(von „Reuter“" völlig unterdrückten Rede. Sedann wird der Antrag Morel,
wie „Reuter“ berichtet, ohne Abstimmung abgelehnt; nach einer Meldung
des „Nieuwe Rott. Cour.“ wurde der Antrag zurückgezogen.