Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

190 Großbritansien. (Juni 20.) 
Mai (s. S. 184 f.) erfolgte Entdeckung der unseligen und furchtbaren Ver- 
schwörung der Sinnfeinführer mit dem Feinde. Das andere große Ereignis, 
das die Lage änderte, war das Vorgehen des röm. kathol. Klerus, der ge- 
meinsam den Widerstand gegen die Dienstpflicht anriet. Das war eine 
direkte Herausforderung der Oberhoheit des Reiches in Angelegenheiten, 
in denen es noch nie in Frage gezogen worden war, daß das Reichs- 
parlament die höchste Macht habe. Unter diesen Umständen war es die 
Pflicht der Regierung, mit den Tatsachen zu rechnen und ihre Politik da- 
nach einzurichten. Die Persönlichkeiten, die deportiert worden sind, konnten 
nicht vor den Richter gebracht werden, ohne dem Feinde die Wege anzu- 
geben, auf denen die Regierung ihrem Vorgehen auf die Spur gekommen 
war. Aber wenn einer von ihnen unschuldig war, so hatte er das Recht, 
Berufung einzulegen. Diese Deportationen haben die Lage in Irland 
wesentlich erleichtert, und sogar die nationalistischen Abgeordneten teiten 
dieses Gefühl der Erleichterung. Zum Schluß teilt Lord C. mit, daß mit 
Rücksicht auf die veränderte Lage in Irland die Regierung genötigt sei, 
auf ihre Homerule-Politik zu verzichten. Falle aber Homerule, so 
falle auch die allgemeine Wehroflicht. Er hoffe aber, daß die Werbung 
von Freiwilligen, zu der man jetzt (s. S. 186 f.) zurückkehre, sowohl bei den 
Nationalisten wie bei der Geistlichkeit Unterstützung finden werde. 
Ueber die weiteren Pläne der engl. Regierung zur Lösung der ir. 
Frage meldet der Berichterstatter des „Temps“ (am 22.) aus London: 
Die Aufgabe des Homeruleplanes soll die Vorlage eines großartigen Planes 
zur Folge haben, der aus nichts Geringerem besteht, als in der Umbildung 
der Vereinigten Königreiche von Großbritannien und Irland in einen Bundes- 
staat, in einen Verband der britischen Inseln. Dieser Plan soll vor dem 
Herbst völlig ausgearbeitet werden. Ein Ausschuß der beiden Häuser, der 
Vertreter aller politischen Parteien umfaßt, hat sich bereits gebildet, und 
wird in nächster Zeit von Lloyd George empfangen werden, dem er die 
Vorteile einer Umbildung des Königreichs auf föderativer Grundlage dar- 
legen wird. Es sollen bei dieser Neuregelung der Verhältnisse England, 
Wales, Schottland und Irland auf gleichen Fuß gestellt werden. Man ist 
der Ansicht, daß Lloyd George diesem Plane günstig gesinnt ist. 
20. Juni. (Unterhaus.) Friedensfrage. 
Bei der zweiten Lesung der Vorlage über die konsolidierte Staatsschuld 
Volk wünscht von der Regierung die Zusicherung zu erhalten, daß sie keine 
Gelegenheit, die Kriegsprobleme auf diplomatischem Wege durch Ueberein- 
künfte zu lösen, vorübergehen lassen wird. Es gibt ferner der Meinung 
Ausdruck, daß die Geheimverträge mit den alliierten Regierungen einer 
Revision unterzogen werden sollen, daß sie in ihrer gegenwärtigen Gestalt 
mit den Zielen unvereinbar sind, für die England in den Rrieg eingetreten 
ist, und daß sie deshalb ein Hindernis für einen demokratischen Frieden 
bilden. — In seiner Begründung führt M. aus, das Volk sei durch die 
Entwicklung der Dinge besorgt. Es sei berechtigt, von der Regierung eine 
erneute Darstellung ihrer Kriegsziele und ihrer Anschauungen über die 
Aussichten, sie zu verwirklichen, zu verlangen. In allen kriegführenden 
Ländern sei eine immer stärker werdende Bewegung zugunsten von ver- 
nünftigen Friedensbedingungen vorhanden, um dem Krieg ein Ende zu 
machen. — Philipp Snowden (Soz.) unterstützt den Antrag in einer langen 
(von „Reuter“" völlig unterdrückten Rede. Sedann wird der Antrag Morel, 
wie „Reuter“ berichtet, ohne Abstimmung abgelehnt; nach einer Meldung 
des „Nieuwe Rott. Cour.“ wurde der Antrag zurückgezogen.
	        
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